Dienstag, 29. September 2015

Vom Reichtum

Seit mittlerweile gut einem Jahr sitze ich daran, Musils Mann ohne Eigenschaften fertig zu lesen. Allein deswegen, weil er neben dem Ulysses als einer der großen Romane gilt, den viele kennen, aber ihn höchstens zu Teilen und kaum komplett gelesen haben. In der Tat, es ist durchaus anstrengend, das Buch ist schwer (daher mittlerweile auf die Kindle-Version umgestiegen), stellenweise nicht enden wollend und, wenn man sich ehrlich ist, passiert eigentlich nicht viel. Unzählige Gespräche, Beschreibungen, Beobachtungen, Charakterisierungen von Menschentypen und einer Epoche beziehungsweise jener Zeit, die der gelernte Österreicher immer noch am Liebsten idealisiert: Das Österreich, genauer gesagt das Wien des fin de siècle. Aber dennoch, irgendwas hat der Roman dann doch für sich (umsonst schafft man es nicht in den Bildungskanon), immer wieder findet sich etwas, das sich als prophetisch deuten lässt, immer wieder wird man zum Nachdenken angeregt. So etwa unter anderem in Musils Beschreibungen zum Reichsein, das auch seine Schattenseiten hat.
Auch Henryk Broder hat unlängst einen Artikel zum Wohlstand geschrieben. Dazu, dass es heute eher verpönt ist, reich zu sein und Reichtum zu zeigen. Wer Geld hat, wird kritisch beäugt, muss irgendwie kriminell sein, hat vielleicht bloß geerbt oder ist ein Ausbeuter. Nein, die Guten sind selten bis gar nicht reich.
Was für Millionäre gilt, trifft auch auf Wohlstands-Gesellschaften zu. Hier hat sich etwa Peter Sloterdijk in seiner Schrift „Die nehmende Hand und die gebende Seite“ geäußert: Ihm zufolge geht die gesellschaftlich weit verbreitete Verurteilung von Wohlstand auf das Rousseausche Diktum von der konfliktfördernden Wirkung der Eigentumsbegründung. Das diesbezügliche Zitat ist ja allgemein bekannt:

 "Der erste, der ein Stück Land mit einem Zaun umgab und auf den Gedanken kam zu sagen »Dies gehört mir« und der Leute fand, die einfältig genug waren, ihm zu glauben, war der eigentliche Begründer der bürgerlichen Gesellschaft. Wie viele Verbrechen, Kriege, Morde, wieviel Elend und Schrecken wäre dem Menschengeschlecht erspart geblieben, wenn jemand die Pfähle ausgerissen und seinen Mitmenschen zugerufen hätte: »Hütet euch, dem Betrüger Glauben zu schenken; ihr seid verloren, wenn ihr vergesst, dass zwar die Früchte allen, aber die Erde niemandem gehört«."

 Die ursprüngliche Landnahme als Unrechtsakt lässt sich damit als Erbsünde moderner bürgerlicher Gesellschaften ansehen, die es früher oder später rückgängig zu machen gilt. Aus den daraus resultierenden Schuldgefühlen nehmen die Besteuerten auch stoisch die historisch unvergleichlich hohe Steuerlast hin. Jeder nachfolgende staatliche Handlung, die Errichtung der bürgerlichen Gesellschaft selbst, gründet auf Unrecht und ist insofern zu hinterfragen. Hier finden revolutionäre Ideen, allen voran der Marxismus und die Proudhornsche Losung vom Eigentum als Unrecht ihren Ursprung.

Ob und inwiefern unsere bürgerliche Gesellschaft tatsächlich so entstanden ist, weiß man nicht. Ebenso wenig muss man Rousseau entgegenhalten, dass Gesellschaften mit einem funktionierenden System des Eigentumsschutzes und der Eigentumsbegründung mehr Wohlstand schaffen. So etwa die Ausführungen Hernando de Soto in seinem aus dem Jahr 2002 stammenden Werk "Freiheit für das Kapital". Die FAZ von damals dazu:
Die Hauptursache für die Armut in der Welt lautet de Soto zufolge also nicht "zu wenig Geld", sondern "schlechtes Recht". Diese These stellt der Ökonom in den Zusammenhang der Globalisierungsdebatte. Er gibt den Globalisierungskritikern in vielen Punkten recht. "Außerhalb der westlichen Welt", schreibt er, "stößt der Kapitalismus auf wachsende Feindschaft; er ist ein Apartheid-System, das die meisten Menschen ausgrenzt." Die Ursache sieht er aber nicht in der Globalisierung selbst, sondern im Versagen, die "entscheidende Eigentumsfrage" in den Mittelpunkt zu stellen: In den Ländern der Dritten Welt profitieren nur wenige Privilegierte von der Globalisierung, weil die anderen keinen Zugang zum Rechtssystem haben, da es nicht gelungen ist, ihr Kapital zu "globalisieren".

Davon abgesehen; Reichtum ist kein Selbstzweck, er kann auch als Belastung aufgefasst werden, mit der nicht jeder umzugehen vermag und die belastet. Man denke nur an das Schicksal vieler Lottogewinner oder mit bombastischen Verträgen ausgestatteter Spitzensportler, die nach einigen Jahren wieder alles verjubelt haben und sich für bankrott erklären müssen. Zu viel Geld kann einem auch das Gefühl vermitteln, nicht über genügend Zeit zu verfügen, ihn entsprechend auszukosten und von den damit einhergehenden Möglichkeiten ausreichend Gebrauch zu machen. Ebenso kann jemand, der viel hat, auch viel verlieren und oft braucht der Sturz ins Unglück auch nur relativ gesehenen geringen Verlust. Man denke an die Selbstmorde so mancher Unternehmer und Investoren, die im Zuge der jüngsten Finanzkrise viel Geld verloren haben (so etwa Adolf Merckle. Die immer noch reich waren, nur eben weniger reich. Denen der relative Wohlstandsverlust zugesetzt hat. Ab einer gewissen Reichtumsstufe macht die nächste Million nicht mehr viel glücklicher, der Verlust einer Million dafür umso mehr.
Hinzu kommt, dass Reichtum die Wahrnehmung der Mitmenschen verzerrt. So wie man als westlich aussehender Tourist in so manchen Gegenden das Gefühl hat, für viele wie ein wandelnder Bankomat auszusehen, bleiben Reiche in hiesigen Breiten lieber unter sich; vielleicht auch, weil ihnen von Seiten vieler mit einem niedrigeren finanziellen Status Neid oder der Wunsch, doch ein wenig etwas für diese oder jene Unternehmung abzugeben, entgegenschwallt. Wer weiß, ob ein Lottogewinn sich letzten Endes sich nicht als Fluch herausstellt, wie viele Freunde einen in seinen Sorgen nicht mehr ernst nehmen oder zumindest Gedanken wie "wieso ist der so traurig, er hat doch so viel Geld" hegen würden. Weshalb unterschiedliche Wohlstandsniveaus Freundschaften oft – nicht immer – belasten und sogar verunmöglichen können. Am Ende des Tages messen Menschen ihr persönliches Glück in Relation zu Nachbarschaft, Arbeitskollegen und Freunden, nicht mit den Kim Kardashians dieser Welt.
Das letzte Wort, weil Ursprung für diese Zeilen, soll aber Musil mit seiner wunderbaren Beschreibung vom Geld als Bürde in seinem Mann ohne Eigenschaften und der Charakterisierung des wohlhabenden und sich intellektuell betätigenden Industriellen Arnheim:
Nur Leute, die kein Geld haben, stellen sich Reichtum wie einen Traum vor; Menschen, die ihn besitzen, beteuern dagegen bei jeder Gelegenheit, wo sie mit Leuten zusammentreffen, die ihn nicht besitzen, welche Unannehmlichkeit er bedeute.
Arnheim hatte zum Beispiel oft darüber nachgedacht, dass ihn doch eigentlich jeder technische oder kaufmännische Abteilungsleiter seines Hauses an besonderem Können beträchtlich übertreffe, und er musste es sich jedes Mal versichern, dass, von einem genügend hohen Standpunkt betrachtet, Gedanken, Wissen, Treue, Talent, Umsicht und dergleichen als Eigenschaften erscheinen, die man kaufen kann, weil sie in Hülle und Fülle vorhanden sind, wogegen die Fähigkeit, sich ihrer zu bedienen, Eigenschaften voraussetzt, welche nur die wenigen besitzen, die eben schon auf der Höhe geboren und aufgewachsen sind.
Eine andere, nicht geringere Schwierigkeit für reiche Leute ist die, dass alle Leute Geld von ihnen wollen. Geld spielt keine Rolle; das ist richtig, und einige tausend oder zehntausend Mark sind etwas, dessen Dasein oder Fehlen ein reicher Mann nicht empfindet. Reiche Leute versichern dann auch mit Vorliebe bei jeder Gelegenheit, dass das Geld am Werte eines Menschen nichts ändere; sie wollen damit sagen, dass sie auch ohne Geld so viel wert wären wie jetzt, und sind immer gekränkt, wenn ein anderer sie missversteht. Leider widerfährt ihnen das gerade im Verkehr mit geistvollen Menschen nicht selten. Solche besitzen merkwürdig oft kein Geld, sondern nur Pläne und Begabung, aber sie fühlen sich dadurch in ihrem Wert nicht gemindert, und nichts scheint ihnen näher zu liegen, als einen reichen Freund, für den das Geld keine Rolle spielt, zu bitten, dass er sie aus seinem Überfluss zu irgendeinem guten Zweck unterstütze. Sie begreifen nicht, dass der reiche Mann sie mit seinen Ideen unterstützen möchte, mit seinem Können und seiner persönlichen Anziehungskraft. Man bringt ihn auf diese Weise außerdem in einen Gegensatz zu der Natur des Geldes, denn diese will die Vermehrung genauso, wie die Natur des Tieres die Fortpflanzung anstrebt. Man kann Geld in schlechte Anlagen stecken, dann geht es auf dem Feld der Geldlehre zugrunde; man kann damit einen neuen Wagen kaufen, obgleich der alte noch so gut wie neu ist, in Begleitung seiner Polopferde in den teuersten Hotels der Weltkurorte absteigen, Renn- und Kunstpreise stiften oder für hundert Gäste an einem Abend so viel ausgeben, dass davon hundert Familien ein Jahr lang leben könnten: mit alledem wirft man das Geld wie ein Sämann zum Fenster hinaus, und es kommt vermehrt bei der Türe wieder herein. Es aber im Stillen für Zwecke und Menschen verschenken, die ihm nichts nützen, das lässt sich nur mit einem Meuchelmord am Geld vergleichen. Es kann sein, dass diese Zwecke gilt und diese Menschen unvergleichlich sind; dann soll man sie mit allen Mitteln fördern, nur nicht mit Geldmitteln.

Donnerstag, 10. September 2015

Libya and Operation Unified Protector 4 years on

More than four and a half years have passed since Security Council resolution 1973 and the subsequent NATO airstrikes (Operation Unified Protector) against Gaddafi's regime. Back then, the operation was called a success for having had only a minimal impact on the civilian population, the great level of cooperation and the decisive role of other NATO member states than the US and contributing to the overthrow of Gaddafi. Euphoria was everywhere, the Responsibility to Protect was "Alive and Well" (Thomas G Weiss) and an article in Foreign Affairs published in December 2012 described Libya as "one of the most successful countries to emerge from the uprisings that have rocked the Arab world over the past two years" (Dirk Vandewalle, 'After Qaddafi. The Surprising Success of the New Libya' 91 Foreign Affairs 8).
Obviously, academia and the international community have sobered up in recent years. Libya, one of the countries with the highest living standards (although far from being a paradise and controlled in a quasi-Stalinistic fashion by Gaddafi), is close to being a failed state (it is ranked #25 on the 2015 Fragile State Index), with two parallel governments competing for control, a crumbling health sector and a drastically deteriorating access to food. As Bernardino León, Special Representative of the Secretary-General
and Head of the United Nations Support Mission in Libya summarized the situation at a Security Council Meeting from late August 2015 (worthy to be quoted extensively):
Fifteen months since the start of military operations in Benghazi, in the east, it is clear that the confrontations between the parties have gradually transformed into a war of trenches, with no imminent end foreseen. In the interim, the status quo is exacting a heavy toll on the civilian population and on whatever remains of the city’s much-damaged infrastructure. More than 100,000 of Benghazi’s population remain internally displaced, and 70 per cent of the city’s health facilities are either inaccessible or not functioning.
The situation in the south is equally appalling. The absence of the State and of a proper functioning security apparatus has exacerbated local competition among tribal groups for power and resources — a conflict that has its roots in decades-long marginalization and neglect by central authorities. At the national level, the scale of human suffering is staggering for a country with large oil reserves and strong economic potential. According to different United Nations agencies, an estimated 1.9 million people require urgent humanitarian assistance to meet their basic health-care needs. Access to food is now a major problem for some 1.2 million people, mostly in Benghazi and the east. The number of internally displaced persons across Libya now stands at approximately 435,000. The health-care system is on the verge of collapse, with many hospitals across the country overcrowded and operating at severely reduced capacity, and many reporting acute shortages of medicines, vaccines and medical equipment. Power cuts are endemic in many areas of the country. Some neighbourhoods, such as in Benghazi, are enduring electricity cuts almost around the clock.
Close to 250,000 migrants are estimated to be in the country or transiting through it, many of them facing significant protection issues, including arbitrary arrest and detention in abusive conditions, sexual abuse, forced labour, exploitation and extortion. This year alone, more than 2,000 migrants have drowned in the Mediterranean Sea, the vast majority in a desperate bid to make the sea crossing from Libya to Europe’s southern shores.
At the same time, the country’s economy continues to contract rapidly, the result of a significant reduction in oil revenues due to falling oil prices and low oil production from Libya’s oilfields. Libya’s financial reserves are also being heavily depleted, in large part as the result of unsustainable expenditures on non-productive items. The political-institutional crisis in the country has also manifested itself in growing competition over key financial and other sovereign institutions.Against that grim backdrop of growing hardship and misery stemming from deteriorating security and general lawlessness, widespread violations and abuses of international human rights and humanitarian law continue with impunity across the country. Armed groups from all sides continue to abduct civilians on account of their political opinions or identity, often in the hope of exchanging them in return for a ransom or for the release of fighters or other civilians taken by rival groups. Not even humanitarian aid workers have been spared.

Preventing and/or ending gross human rights abuses were the primary motives behind the intervention in Libya. It was feared that Gaddafi's forces would continue to use excessive force not only against his military adversaries but also against the civilian population, in particular in Benghazi, which was explicitly mentioned in resolution 1973. Nevertheless, when deciding whether to intervene and how, long-term prospects also need to be taken into account. While it is absolutely unclear what Libya would look like absent a military intervention or if NATO had refrained from taking sides but rather eg established safe havens for civilians or to establish a ceasefire with a possible divide of the country until a political solution is found, one may doubt whether that happened. Rather, the motives behind intervening in Libya seem to be a mixture of having grasped the opportunity to get rid of a dictator who had been in charge for too long, committed too many grave mistakes (remember Lockerbie or the1986 Berlin discotheque bombing) and controlled one of the oil-richest countries in the world, addressing demands to "do something" in Libya, and perhaps build up a new allied state in the region.
In sum, the current situation clearly shows the extent of miscalculation or ignorance when it came to the political dynamics in tribal Libya. One may thus doubt whether Operation Unified Protector is still seen as a 'model intervention' and if the interveners would act differently today. Removing a dictator is comparatively easy, but the West's (and in particular the US') bad track record in establishing or at least contributing to a functioning, stable, and even democratic state has certainly not improved with the outcome of the intervention Libya.

Montag, 7. September 2015

Vom Gegenwartsfetisch

hic et nunc, hier und jetzt. Die Zeit, in der wir leben. Gestern ist vorbei und vergessen, überübermorgen wiederum fühlt sich fern an. Allenfalls morgen, das nächste Wochenende, vielleicht ein paar Monate, aber dann ist irgendwann mal wirklich Schluss mit dem Blick nach vorne. Gut essen gehen, auch mal gern eine Ausstellung, ins Theater, zu Lesungen und was der große Kunst-und Kulturmarkt nicht alles zu bieten hat beziehungsweise was es nicht allen an sonstigen Events mit vielen virtuell zugesicherten Teilnahmen so gibt. Veranstaltungsreihen, Lokale und Gallerien allerorts. Das alles freilich mit Stylingbewusstsein, anders und doch irgendwie  aussehen wie die eigene soziale Kohorte. Den dazugehörigen immateriellen wie materiellen Konsum natürlich entsprechend fotografisch festhalten und teilen. Von Instagram zu Insta-Life.

Schöne Fassaden, das wissen wir spätestens seit Adolf Loos, verdecken dahinterstehendes Elend. Noch heute erinnere ich mich das öffentliche Bild in Spanien zur Zeit meines Erasmussemesters – das kollektive europäische Verbundenheitserlebnis für Studenten in den frühen bis Mit-20ern – während die Eurokrise unter dem damaligen und mittlerweile wieder aus dem Kurzzeitgedächtnis der Medien verschwundenen Schlagwort von den PIIGS (Portugal, Irland, Italien, Griechenland und Spanien) ihren Höhepunkt erreicht hatte. Die Lokale dennoch oder eben gerade deswegen voller lachender Menschen, eine verwirrte Professorin selbst meinte zu Beginn einer jeden Stunde, die Leute nicht zu verstehen, kein Geld und dennoch dauernd am Ausgehen, no sorpresa, dass es einmal so kommen musste. Aber vielleicht ist genau dieses Verhalten weniger Hintergrund als logischste aller Reaktionen. Das Leben genießen, solange es geht, Ablenkung von unangenehmen Gedanken und Themen, im Idealfall gerade in Spanien beim Fussball, Ronaldo oder Messi, wer gewinnt das nächste Classico?

Auch in hiesigen Breiten verhält es sich seit geraumer Zeit nicht wesentlich anders. Bei vielen reicht die Planung allenfalls zum nächsten großen Urlaub, der muss schließlich möglichst weit weg stattfinden, in Europa ist ja sowieso alles überall gleich und homogenisiert, weswegen es hier nur wenig Abwechslung beziehungsweise Gelegenheiten zum Abschalten gibt. Dann kann man sich davon erzählen, wie ruhig und erfrischend anders, wenn auch weniger steril, das Leben in Thailand, Vietnam, Kambodscha oder Indien nicht abläuft, welch Erkenntnisse und Einsichten man am Strand von Goa nicht gesammelt hat.

Unser Umgang mit der Zeit scheint dominiert vom present-oriented hedonist, wie er vom durch das Stanford Prisoner-Experiment berühmt gewordenen Psychologen Philipp Zimbardo und seinem Kollegen John Boyd folgendermaßen beschrieben wurde:
Self indulgent, playful, enjoys all things that bring immediate pleasure and avoids those that involve much effort, work, planning, or unpleasantness. Lives to consume the good life and takes many different kinds of risks in part because he or she does not fully consider the realities of negative consequences and at the same time seeks stimulation and excitement.

Eigentlich ein glücklicher Ort, diese Gegenwart. Was in 5, 10, 20 Jahren passiert erscheint weit weg, dort warten ohnedies lediglich nicht-fotografierbare Probleme und Herausforderungen für die Zukunftsversionen von uns (Simpsons-Referenz gefällig? "That's a problem for future Homer. Man I don't envy that guy"). Dabei führen natürlich auch äußere Umstände zu Resignation oder als befreiend erlebter Unbekümmertheit und Jetztbezogenheit beziehungsweise, volkswirtschaftlich ausgedrückt, einer hohen Zeitpräferenzrate. Bevor das Geld auf der Bank liegt und an Wert verliert, wird es ausgegeben. Zumal ja niemand so genau weiß was kommt und es sich ohnedies nur in höchst beschränktem Maße beeinflussen lässt. Wird schon passen oder eben nicht. “Etwas aufbauen” (von der Eigentumswohnung über ein Unternehmen bis hin zum von der US-Film- und Serienindustrie ins kollektive Denken eingehämmerten Haus im Grünen mitsamt weißem Lattenzaun und Hund) ist ohnehin kaum möglich beziehungsweise nicht sonderlich attraktiv: Praktika und befristete Verträge, Stellenabbau, der jeden betreffen kann, mehr als ungewisse Pensionen, drohende Hyperinflation (die große Krise ist nicht gelöst, sondern lediglich verschoben), Staatsschuldenkrise, bedenklicher demographischer Wandel und eine enorme Steuerbelastung (durch Arbeit wird man nicht reich!). Allenfalls den bereits vorhandenen Wohlstand, mag er auch noch so klein sein, so weit wie möglich erhalten. Kinder bekommen wird verschoben, erscheint selbst bei 30-jährigen fern, bis viele es überhaupt lassen, noch dazu, wo man mittlerweile immer öfters liest, dass Nachkommen nicht wirklich glücklich machen. Wirkt alles obendrein ohnehin bieder und schränkt ja auch so furchtbar stark ein, da ist nichts mehr mit spontan wo vorbeischauen und ganz allgemein einfach tun wonach einem gerade die Sinne stehen.

Erwachsen werden ist am Ende des Tages weniger eine Frage des Alters denn der übernommenen Verantwortung und "Kinder kriegen" markiert in diesem Punkt den Endgegner. Also lieber die Jugend durch kollektives in-den-Tag-hinein-Leben verlängern, stiller Protest, der keiner ist. Diese Welt ist ohnehin für junge Leute gemacht (man lese etwa Houellebecq "die Möglichkeit einer Insel" oder höre Prinz Pi "Moderne Zeiten"), Kappen verdecken schütteres Haar, Sneakers sind bequemer als Anzugschuhe und im Sommer ist es viel zu heiß für Sakkos.

Man darf sich fragen, wie viele der heutigen – im juristischen Sinne – Erwachsenen beim Stanford Marshmallow Experiment lieber gleich einen essen als später zwei bekommen würden. Nach denen nicht einmal die Sintflut kommt, die ja aus der Bibel stammt, denn so richtig gläubig ist ist ja kaum noch wer – allenfalls zum (Tauf-)Schein, weil heiraten in einer Kirche doch als romantisch gilt. Womit sich auch die Sache mit dem Leben nach dem Tod erübrigt hat; spätestens dann ist dem Ablebenden selbst alles nicht einmal mehr egal. Um es mit Sartre zu sagen, der Mensch ist seine eigene Existenz. Mit Keynes "in the long run we're all dead". Oder mit der nicht mehr ganz so aktuellen Popkultur "in the end it doesn't even matter" (Linkin Park).

Donnerstag, 3. September 2015

Totes. Recht. Ausnahme.Zustand

Wir leben immer noch im Zeitalter des Rechtspositivismus und seiner Verabsolutierung der Gesetze. Es gilt, was geschrieben steht, selbst wenn es mittlerweile ausschließlich rein-virtuell abgerufen wird und keiner sicher sein kann, dass es irgendwo auch in klassisch-gedruckter Gesetzesform existiert. Aber Gesetze, Normen, Richtlinien, Verordnungen und wie man alle Befehle im Namen des Staates oder auch der EU nennen will, gelten nicht für sich. Sie gelten, weil die Rechtsunterworfenen sich daran halten und, in zweiter Instanz, indem man ihnen Geltung verschafft, sie also gegebenenfalls – also bei Verstößen – durchsetzt. Sie sind zwangsbewehrt, die Befolgung richtet sich nach der freien Entscheidung des einzelnen, sondern wird im Notfall per Zwang durchgesetzt: Am Ende stehen Pfändungen, Freiheits- und Geldstrafen.

Doch nicht alles, was formaljuristisch gilt, ist auch realiter Gesetz, vieles wird weder von den Rechtsunterworfenen noch von den Organen des Rechtsvollzugsapparats beachtet. Recht kommt auch als Todgeburt zur Welt oder stirbt nachträglich: Etwa, weil es als veraltet gilt, von Anfang an zu weit von der Realität entfernt war oder es an Ressourcen beziehungsweise behördlichem Willen fehlt; auch die Bürokratie hat keine Allmacht und muss sich den Gegebenheiten anpassen, Prioritäten setzen. Die Realität entflieht oftmals dem Recht und seinem Vollzug.

Hier hat der Ausnahmezustand eine tragende Rolle. Wenn der Staat sich innerhalb des rechtlichen Rahmens, der einen solchen ja vorsieht, offen eingesteht, eben jenen nicht mehr zur Gänze einhalten zu können; vor allem die nicht-notstandsfesten Menschenrechte wie etwa das Recht auf ein faires Verfahren, auf Achtung des Privat- und Familienlebens, die Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit, die Freiheit der Meinungsäußerung oder die Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit vorläufig zu ignorieren, um einer Gefährdung der gesamten Ordnung als solches zu begegnen. Spätestens dann merkt man, dass einmal Festgelegtes sich ändern kann, das kein Gesetz für sich alleine gilt und das Recht von heute das Unrecht von morgen sein kann. Dass Recht mehr ist als geschriebenes Wort und ein Mindestmaß an Gerechtigkeit, aber auch an Aussicht auf Umsetzbarkeit und dem Willen, es auch ohne der Drohung von Zwang einzuhalten.

Gerade die letzten Wochen geben vielen das Gefühl, in einer Zeit des Umbruchs zu leben. Vieles, was als gegeben und unumstößlich gilt, wird offen hinterfragt und niemand weiß, wie lange es noch gilt beziehungsweise gelten kann. Recht wird offen missachtet und gebrochen, von Teilen der Rechtsunterworfenen und mittlerweile auch vom Vollzugsapparat, der es nicht mehr auf die gesamte Bevölkerung, sämtliche Gebiete oder alle Situationen anwendet. Bleibt offen, ob deswegen neues Recht geschaffen wird oder bereits bestehendes, außerstaatliches beziehungsweise jedenfalls außerhalb des formaljuristischen Rahmens bestehendes Recht an seiner Stelle weiter fortbesteht.

Mittwoch, 2. September 2015

Liebe Parteien: auf der Suche nach Wählerstimmen?

Nichts einfacher als das, möchte man meinen. Die "verunsicherte Mitte" wartet auf euch. Fernab von Hetzern und anderen teilweise inflationär gebrauchten Schlagwörtern warten Menschen, die wissen wollen, wie man mit der Asylkrise langfristig umzugehen gedenkt, auf Antworten. Fernab von "Deutschland/Österreich schafft das schon" und ähnlichen Phrasen. Konkretes. Erfolgsmodelle. Auch auf die unangenehmen Aspekte eingehen, Gefahrenpotenziale identifizieren und auch benennen. Zum Lohn gibt es Stimmen, im Moment macht das nämlich... ja, richtig, niemand, keine Partei.