Dienstag, 8. März 2016

Syrien: Die Utopie des Friedens

Seit 5 Jahren schwelt der Konflikt in Syrien. Immer wieder wird die Frage aufgeworfen, weshalb die Welt es nicht schafft, in Syrien Frieden herzustellen und, damit einhergehend, warum der Konflikt so lange andauert.
Syrien, das war vielleicht anfangs weit weg. Mittlerweile liegt es aber sehr nah, spätestens seitdem der Konflikt durch das Anschwellen der Flüchtlingskrise an Europas und damit an Österreichs Türen geklopft hat, lässt er kaum noch jemanden kalt. 
Die eingangs genannte fundamentale Frage gerät dabei immer mehr in Vergessenheit. Dass Syrien einmal ein friedliches, schönes – wohlweislich diktatorisch geführtes – Land war, ist heute kaum noch vorstellbar. Es scheint fast, als hätte man sich damit abgefunden, dass die Welt nun einmal so ist, wie sie ist. Der Krieg als unvermeidbare anthropologische Grundkonstante, die man vielleicht einhegen, ab und an auch verhindern, aber niemals ganz beseitigen kann. Auch zwei Jahrhunderte nach Immanuel Kants mitunter bedeutsamster Schrift Zum Ewigen Frieden sind wir von einem solchen nach wie vor weit entfernt.
Warum Krieg?
Die genauen Gründe für den Ausbruch des Konflikts sind bis heute nicht restlos geklärt. Eine Lesart geht von einer Erhebung des unzufriedenen Volkes aus, die brutal und völlig unverhältnismäßig niedergeschlagen wurde. Wobei religiös-fanatisierte und sich aus zahlreichen ausländischen Kämpfern zusammensetzende Gruppen erst relativ spät die Bühne betreten haben sollen. Zunächst sind viele Angehörige der syrischen Armee desertiert, um al-Assad zu stürzen und, im Idealfall, ein demokratisches und die Menschenrechte achtenden System zu errichten. Später, mit Fortschreiten der Kampfhandlungen wuchs auch der Druck auf den Westen und umliegende Staaten, die Gegner al-Assads zu unterstützen.
Anderen zufolge bestand die weitgehende Einmischung von außen bereits äußerst früh. Demokratie und Menschenrechte dienten dabei lediglich ein Feigenblätter. Was sich vor allem daran zeigt, dass allen voran Saudi-Arabien von Beginn weg seine Finger im Spiel gehabt haben soll. Was insofern plausibel erscheint, als der Sturz Bashar al-Assads und die Etablierung einer sunnitischen, möglicherweise salafistischen Regierung mit enger Verbindung zu Saudi-Arabien den großen regionalen Rivalen Iran entschieden schwächen würde. Was auch im Interesse der westlichen Verbündeten wäre, allen voran der USA, aber auch Israels, das im Iran immer noch den Hauptfeind in der Region sieht. Eben jener Iran leistet – gemeinsam mit Russland, das bereits seit den 1970er Jahren eng mit Syrien verbunden ist – maßgebliche Unterstützung für al-Assad. Was wiederum unter anderem daran liegt, dass al-Assad und das syrische Territorium für die Versorgung der Hisbollah (und umgekehrt) unerlässlich sind. Zuletzt sei auch die Türkei genannt, die gegen die syrischen Kurden (genauer gesagt die YPG) vorgeht, weil sie diese als verlängerten Arm der PKK betrachtetSo hat die Türkei bereits im Juni 2011 eine Konferenz der syrischen Opposition auf ihrem Gebiet zugelassen, seit dem Frühling 2012 unterstützt sie aktiv den gewaltsamen Umsturz al-Assads.
Kurzum: In Syrien herrscht kein Bürgerkrieg im genuinen Sinne, sondern ein Stellvertreterkrieg. Zentraler Zankapfel dabei ist der Verbleib al-Assads beziehungsweise die Frage, welchen Staaten eine künftige syrische Regierung eher gewogen wäre. Solange hier keine Entscheidung vorliegt, ist kein Ende in Sicht. 
Zur Bedeutung des "Islamischen Staats"
Der „Islamische Staat“ ist dabei eine maßgebliche Facette, aber nicht unbedingt entscheidend. Offiziell ist er der Feind, auf den sich alle einigen können, eine Art hostis humanigeneris. Inoffiziell ist die Sache wesentlich komplexer, was auch die vielen im Raum stehenden Vorwürfe erklärt: Hat al-Assad ihn bewusst großwerden lassen, um als geringeres Übel dazustehen? Wird oder wurde er von der Türkei unterstützt? Was ist mit den USA, war das Entstehen des "IslamischenStaats" wirklich nicht absehbar beziehungsweise welche Rolle spielt der Irakkrieg 2003
Wie so ziemlich jeder Krieg ist auch jener in Syrien ein idealer Nährboden für Gerüchte, Mutmaßungen – manche berechtigt, manche eher weniger – und Verschwörungstheorien. Das erste Opfer des Krieges ist immer noch die Wahrheit; wer diese will, muss sich zumeist lange gedulden und selbst dann gibt es oftmals keine Gewissheit.
Selbst wenn der „Islamische Staat“ irgendwann besiegt sein sollte, ist der Frieden in Syrien weit entfernt. Wobei offen bleibt, ab wann man überhaupt von einem „Sieg“ sprechen kann – am ehesten, wenn er seine Gebiete verloren hat und nur noch klandestin agieren kann beziehungsweise allenfalls kleinere Landstriche kontrolliert.
Wer ist "die Welt"?
Womit wir zum Hauptpunkt kommen: "Die Welt" beziehungsweise eine "internationale Gemeinschaft" existiert höchstens in Ausnahmefällen. Manchmal gibt es Themen, bei denen wirklich so etwas ähnlich wie universale Einigkeit herrscht. Beim Konflikt in Libyen 2011 war man beispielsweise relativ nahe dran, was an der weitgehenden außenpolitischen Isolation Gaddafis lag – eine Folge seiner schweren Verfehlungen in der Vergangenheit, etwa das Lockerbie-Attentat oder der Anschlag auf die Berliner Diskothek "La Belle". Al-Assad kann auf einflussreiche Verbündete bauen. Syrien ist ein Lehrbuchbeispiel für einen von einander widerstreitenden Interessen geopolitischer, wirtschaftlicher, ethnischer und religiöser Natur geprägten Konflikt. Moral spielt hier nur bedingt eine Rolle. Wobei keine der involvierten Parteien nachzugeben gedenkt. Sobald eine ihre Unterstützung erhöht, ziehen die anderen nach. John Kerry etwa drohte Russland erst unlängst, dass der Krieg noch hässlicher werden könnte. Was angesichts des bisherigen Verlaufs und dem damit einhergehenden Leid nach purem Zynismus klingt. Keine guten Aussichten für den unter diesen Umständen leider utopischen Wunsch nach Frieden.



Zitat zum Tag

Eine Aufgabe gerade der Forscher und Wissenschaftler – und vor allem vielleicht der Sozialwissenschaftler – besteht darin, die Erträge ihrer Forschung allen zugänglich zu machen. Wir sind, wie Husserl sagte, "Beamte der Menschheit", vom Staat bezahlt, um etwas aus dem Bereich der Natur oder der Gesellschaft ans Licht zu bringen, und es gehört, wie es mir scheint, zu unseren Verpflichtungen, das Entdeckte offenzulegen.

Pierre Bourdieu, Über das Fernsehen (Suhrkamp 1996/1998), 18

Montag, 7. März 2016

Juristisches Fundstück (1959) #2

OGH, 14.10. 1959, Geschäftszahl 2Ob317/59

"Diese Erwägung muß vorliegendenfalls umso mehr gelten, als die Klägerin konkrete Aussichten einer Heirat mit einem angehenden Techniker dargetan und zugleich nachgewiesen hat, daß diese Aussichten infolge des ihr zugestoßenen Unfalls zunichte geworden sind. Zutreffend weist die Revisionswerberin aber auch darauf hin, daß sie nunmehr als kleine Angestellte ohne jede Aussicht auf besonderen Aufstieg im Leben stehe. Die durch den Unfall vom 6. März 1955 herbeigeführte Beeinträchtigung der äußeren Erscheinung der Klägerin bedeutet ja auch eine Erschwernis im Fortkommen der Klägerin im Angestelltenberuf, weil ihr damit Stellen verschlossen bleiben müssen, in denen auf äußere Erscheinung besonderes Gewicht gelegt wird."



§ 1326. Ist die verletzte Person durch die Mißhandlung verunstaltet worden; so muß, zumahl wenn sie weiblichen Geschlechtes ist, in so fern auf diesen Umstand Rücksicht genommen werden, als ihr besseres Fortkommen dadurch verhindert werden kann.



Wie man dem ABGB-ON-Kommentar entnehmen darf, geht es dabei übrigens um die "Heiratsaussichten schlechthin", der Nachweis einer konkreten Heiratsaussicht ist also nicht notwendig. Wer bereits verheiratet ist, hat keinen Anspruch, eine bestehende Partnerschaft oder gar eine Verlobung sind wiederum unerheblich, zumal diese ja jederzeit aufgelöst werden können.

Freitag, 4. März 2016

Donald Trump vs. das Establishment


Mittlerweile kann man die ursprünglich absurde Vorstellung, dass der nächste US-Präsident Donald Trump heißen könnte, nicht mehr als völlig unrealistisch beiseite wischen. Ursache und Wirkung werden dabei jedoch gerne verwechselt.
"Donald Trump ist eine ernsthafte Bedrohung für die amerikanische Demokratie" titelte ein Beitrag von Larry Summers in der Washington Post vor Kurzem. Weniger wegen seiner politischen Ansichten denn seiner demagogischen Selbstdarstellung: Trump als der starke Mann, die personifizierte Universallösung. Wer ihm im Weg steht, wird aus dem Weg geräumt.
Der inhärente Zusammenhang zwischen Demokratien auf der einen und Demagogie und Populismus auf der anderen Seite zieht sich seit je her durch die Ideengeschichte (die Suche nach dem richtigen Verhältnis zwischen Volks- und Elitenherrschaft finden wir etwa schon bei Aristoteles). 

Der Zustand der US-Demokratie

Trumps Erfolg ist in diesem Lichte zu sehen. Er stellt nur die letzte Stufe im schon seit geraumer Zeit andauernden Verfallsprozess des politischen und gesellschaftlichen Systems der USA dar. Dazu reicht ein kurzer Blick auf einige der vielen Gründe für seine Beliebtheit: Er gilt als ehrlich, gehört nicht dem politischen Machtapparat an und ist finanziell unabhängig. Dabei kommt es auch nicht darauf an, ob diese Punkte faktisch zutreffen (man denke nur an die viral gegangene "Last Week Tonight"-Ausgabe zu seiner Person). Entscheidend ist, dass er diesen Eindruck glaubwürdig vermittelt und das tut er. Trump präsentiert sich als schwerreicher Robin Hood im Kampf gegen "die da oben"; der kein Steuergeld braucht und nicht aufs big business angewiesen ist, weil er als erfolgreicher Geschäftsmann selbst genug davon hat. Daher verfolgt er keine Eigeninteressen und kann unabhängig von außen für die USA und ihre Bevölkerung eintreten (für weitere damit einhergehende Gründe siehe hier).
Die US-Demokratie liegt nicht erst seit gestern im Argen. Gut möglich, dass das freilich auch in Europa immer stärker auftretende Gefühl der Entfremdung zwischen Politik und Volk in den USA als dem Land der Ungleichheit (ungeachtet dessen, wie man dazu steht), am allerstärksten ausgeprägt ist. Selbst ein großer Name wie Fareed Zakaria fällte in seinem Buch „The Future of Freedom. Illiberal Democracy at Home and Abroad“ ein vernichtendes Urteil. Demokratie habe nichts mehr mit seinen antikane Ursprüngen zu tun, sondern werde vielmehr von reichen und organisierten Minderheiten beherrscht, die sich und den status quo auf Kosten der Zukunft absichern.
Zu einem noch drastischeren Schluss gelangten Martin Gilens (Princeton) und Benjamin Page (Norhwestern University) im April 2014. Sie haben den faktischen Entscheidungsprozess, die dahinterstehenden Akteure und die Endresultate genauer – "wissenschaftlich" – untersucht. Ihr drastischer Schluss, der damals auch durchaus für viel Aufsehen gesorgt hat und mittlerweile wieder versandet ist: Die USA sind nicht mehr als Demokratie, sondern als Oligarchie anzusehen. Selbst größere organisierte Gruppen haben ihren Untersuchungen zufolge wenig bis keinen Einfluss auf den politischen Prozess. Dieser liege faktisch vielmehr in den Händen wirtschaftlicher Eliten und großer Konzerne – kurzum: Des (wirtschaftlichen) Establishments.

Symptom des Verfalls

Das ist der Nährboden, auf dem Populismus besonders gut gedeiht. Immer dann, wenn die gefühlte oder tatsächliche Kluft zwischen weiten Teilen der Bevölkerung und den "Eliten" ein gewisses Maß überschreitet. Wenn immer mehr Menschen das Gefühl haben, dass wählen nur wenig bis nichts bringt, etwa, weil die etablierten Parteien einander zu sehr ähneln. Wenn der allgemein akzeptierte "Grundkonsens" einen zu engen Rahmen setzt. Was oft mit dem Eindruck einhergeht, dass Parteien und Politiker ohnehin dem Diktat des "big business" gehorchen. Daher schadet ihm die immer stärker auf ihn einprasselnde Kritik aus den Reihen der Republikaner und der Democrats oder auch von Seiten der großen Medienhäuser auch nicht, ja, macht ihn eventuell sogar stärker. Getreu der Losung "wenn die ihn nicht mögen, ist er wohl nicht so übel."

Es gilt, das Phänomen Trump richtig einzuordnen. Man kann ihn durchaus als Totengräber der US-Demokratie ansehen. Dabei darf man aber nicht vergessen, wer beziehungsweise was ihm die Schaufel in die Hand gegeben hat. Er ist nicht Auslöser, sondern Symptom. Die USA stecken auch ohne Trump in einer gesellschaftlichen und politischen Krise. Wenn nicht er, dann hätte sie früher oder später jemand anderer offenkundig gemacht.



Donnerstag, 3. März 2016

Juristisches Fundstück (1961)




Schrecklich, diese Juristen. Das Pornographiegesetz ist übrigens formaljuristisch noch immer in Kraft. Bisweilen wird es sogar ins Spiel gebracht beziehungsweise instrumentalisiert, etwa im Zusammenhang mit dem lifeball-Plakaten: http://www.heute.at/news/politik/FPOe-bringt-Anzeige-gegen-Lifeball-Plakat-ein;art23660,1019083

Oder auch https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XX/AB/AB_02070/index.shtml

Zu seinem Hintergrund sei die Dissertation von Elisabeth Holzleithner, Professorin für Rechtsphilosophie und Legal Gender Studies, empfohlen (online unter http://homepage.univie.ac.at/elisabeth.holzleithner/Dissertation.pdf)

Im Gesetz selbst findet man diese Bestimmungen:

§ 1. (1) Eines Verbrechens macht sich schuldig, wer in gewinnsüchtiger Absicht
a)
unzüchtige Schriften, Abbildungen, Laufbilder oder andere unzüchtige Gegenstände herstellt, verlegt oder zum Zwecke der Verbreitung vorrätig hält,
b)
solche Gegenstände einführt, befördert oder ausführt,
c)
solche Gegenstände anderen anbietet oder überläßt, sie öffentlich ausstellt, aushängt, anschlägt oder sonst verbreitet oder solche Laufbilder anderen vorführt,
d)
sich öffentlich oder vor mehreren Leuten oder in Druckwerken oder verbreiteten Schriften zu einer der in den lit. a bis c bezeichneten Handlungen erbietet,
e)
auf die in lit. d bezeichnete Weise bekanntgibt, wie von wem oder durch wen unzüchtige Gegenstände erworben oder ausgeliehen oder wo solche Gegenstände besichtigt werden können.
(2) Die Tat wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr bestraft. Neben der Freiheitsstrafe kann eine Geldstrafe bis zu 360 Tagessätzen verhängt werden.
(3) Wurde die Tat mit Beziehung auf ein Druckwerk verübt, so sind die für das Vergehen nach § 516 StG. geltenden Bestimmungen des Preßgesetzes über den Verfall des Druckwerkes, die Unbrauchbarmachung der zu seiner Herstellung dienenden Platten und Formen, die vorläufige Beschlagnahme und das Strafverfahren in Preßsachen überhaupt dem Sinne nach anzuwenden.
§ 2. (1) Eines Vergehens macht sich schuldig, wer wissentlich
a)
eine Schrift, Abbildung oder sonstige Darstellung, die geeignet ist, die sittliche oder gesundheitliche Entwicklung jugendlicher Personen durch Reizung der Lüsternheit oder Irreleitung des Geschlechtstriebes zu gefährden, oder einen solchen Film oder Schallträger einer Person unter 16 Jahren gegen Entgelt anbietet oder überläßt,
b)
eine solche Schrift, Abbildung oder sonstige Darstellung auf eine Art ausstellt, aushängt, anschlägt oder sonst verbreitet, daß dadurch der anstößige Inhalt auch einem größeren Kreis von Personen unter 16 Jahren zugänglich wird,
c)
einer Person unter 16 Jahren ein solches Laufbild oder einen solchen Schallträger vorführt oder eine Theateraufführung oder sonstige Darbietung oder Veranstaltung der bezeichneten Art zugänglich macht.

 Siehe https://www.ris.bka.gv.at/GeltendeFassung.wxe?Abfrage=Bundesnormen&Gesetzesnummer=10005226&ShowPrintPreview=True

Mittwoch, 2. März 2016

Politikerbashing: Lasst das Aussehen raus

Die vom österreichischen Bundesinnenministerium gestern angekündigte Kampagne in Afghanistan hat – wie immer, wenn die Regierung irgendwelche Maßnahmen und Aktionen beschließt – eine Empörungswelle ausgelöst. Darunter befanden sich auch zahlreiche Memes und bearbeitete Fotos, in denen das Aussehen der Innenministerin in den Vordergrund gestellt wurde. So diene Mikl-Leitners Gesicht als beste Abschreckung für potentielle Flüchtlinge beziehungsweise solle man dieses plakatieren, um Österreich für diese unattraktiv zu machen.

Ähnliches kann man auch immer wieder im Zusammenhang mit anderen weiblichen (etwa im Zusammenhang mit Janine Wulz oder Angela Merkel) und freilich auch männlichen Politikern (man denke an die häufige Thematisierung von Sigmar Gabriels Körperfülle) beobachten.
Eines vorweg: Ja, man muss in der Politik eine dicke Haut haben und viel über sich ergehen lassen. Zumal die Innenministerin seit je her eine äußerst streitbare Figur ist. Wie der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte beispielsweise im Fall Baskaya und Okcuoglu gegen die Türkei feststellte, gilt für Regierungsmitglieder ein anderer Maßstab als für Privatpersonen oder gar für andere Politiker.
Die Grenzen der Satire
Ungeachtet der leidigen juristischen Fragen der Grenzen der Meinungsfreiheit – auf die hier nicht näher eingegangen werden soll – stellt sich jedoch jene des guten Geschmacks. Der ist gerade bei Satire freilich so eine Sache für sich. Oft genug scheint der satirische Gehalt stark hinter der Anfeindung als solcher zurückzutreten. Dann verkommt die Satire schnell zum Deckmantel für reine personenbezogene untergriffige Angriffe.
Ganz allgemein ist das negative Hervorheben des Aussehens von Politikern und sonstigen Personen öffentlichen Interesses höchst problematisch (man spricht, je nachdem, von body shaming und face shaming). Jedenfalls im kleineren Rahmen – Stichwort Mobbing in der Schule oder am Arbeitsplatz – hat eine Desavouierung auf dieser Grundlage nichts verloren. Auch beziehungsweise gerade im öffentlichen Bereich sollte grundsätzlich dasselbe gelten. Auch wenn manche Anlässe richtiggehend danach schreien (ich denke spontan an das mittlerweile wohlfeil bekannte Foto von Sigmar Gabriel neben Til Schweiger, das mit "dick und doof" betitelt wurde; oder an den ehemaligen FPÖ-Chef Herbert Haupt, der die Patenschaft für ein Nilpferd übernommen hatte; dazu gibt es auch ein OGH-Urteil) und somit durchaus von Satire gedeckt sind, sollte man stets Vorsicht walten lassen. Der gute Geschmack hat nunmal seine stets neu auszukalibrierenden Grenzen.
Die Auswirkungen von "body shaming" und "face shaming"
Denn die mit dem Abstellen auf Körperliches einhergehende Botschaft weist mehrere Facetten auf: Einerseits tritt inhaltliche Kritik an politischen Vorhaben und Politikern dadurch in den Hintergrund, obwohl diese ungleich bedeutsamer ist. Daneben sinkt mitunter auch die Dialogbereitschaft, nach dem Motto "wieso soll ich mit jemanden diskutieren, der mich auf eine solche Art und Weise darstellt?"
Andererseits verlangen Themen wie body shaming und face shaming Konsequenz. Sollte es doch ungeachtet der Person, auf die es abzielt, ganz allgemein inakzeptabel sein. Wenn Ausnahmen gemacht werden, weil man das Objekt derartiger Angriffe aufgrund seines Verhaltens als besonders verachtenswert empfindet, kompromittiert man damit die Bemühungen in diese Richtung mit einem Streich als Ganzes. Läuft das letzten Endes doch darauf hinaus, dass man nur dann vor Angriffen gegen sein Äußeres geschützt ist, wenn man sich entsprechend verhält. Was letzten Endes nur in Willkür und wechselseitigem Einsatz von body und face shaming enden kann. "Wenn Mikl-Leitner wegen ihres Aussehens angegriffen werden darf, dann gilt das auch für Eva Glawischnig und so weiter." Nein, eben nicht, es ist bei beiden nicht in Ordnung.
Davon abgesehen wird dadurch zu einem gewissen Teil die Schuld auf das Opfer derartiger Angriffe ausgelagert. Die Ächtung von body und face shaming ist grundsätzlich an keine vom Ziel der Angriffe abhängige Einschränkungen geknüpft. Widrigenfalls hätte nicht der Urheber der Angriffe, sondern das Opfer selbiger sie mit seinem Verhalten herbeigeführt und damit legitimiert – eine fragwürdige Argumentationskette.
Der mittelbare – gesellschaftliche Effekt
Abgesehen von den Auswirkungen auf das direkte Ziel der Angriffe und auf die Anstrengungen gegen body und face shaming gibt es auch eine darüber hinausgehende, mittelbare Wirkung. Wenn man öffentlich das äußere Erscheinungsbild von Personen als „hässlich“, „fett“, „faltig“ oder sonstwie besonders negativ, weil nicht „schön“ angreift, trifft man damit unzählige weitere Menschen gleich mit. Auch wenn Spitzenpolitiker in den Augen von vielen mittlerweile als äußerst abgehoben gelten, sehen sie immer noch nicht anders aus als der Rest der Bevölkerung. Wer Sigmar Gabriel wegen seiner Leibesfülle als fettes Schwein und dergleichen bezeichnet, attackiert damit andere, ähnlich aussehende Menschen gleich mit. Das sollte einem bewusst sein. Selbiges gilt selbstredend ebenso, wenn man weibliche Politikerinnen als „unattraktiv“ „hässlich“ oder gar als im negativen Sinne negativ-repräsentativ für die weibliche Bevölkerung eines Landes darstellt. So richten die Angriffe nicht nur gegen das Aussehen der österreichischen Bundesinnenministerin, sondern gegen jenes sehr vieler Frauen in ihrem Alter. Das muss und sollte nicht sein.