Samstag, 20. Februar 2016

Politik: Zeiten der Entfremdung?

Beim gestrigen EU-Gipfel sorgte Angela Merkel zur Abwechslung einmal für nicht-unmittelbar flüchtlingsbezogene Schlagzeilen. Ging sie doch in der Pause mal eben zu einem Frittenstand. Die Fotos sprechen eine interessante Sprache: Ja, da standsie, die deutsche Kanzlerin und mächtigste Frau Europas, wie jeder andere Mensch auch, um sich für 3,70€ kulinarisch zu laben.
Die Szenerie bietet einen Kontrast zum negativen Bild, das viele von der gegenwärtigen Politik haben. Mit einem Male wirkt sie nicht bürgerfern und abgehoben, wenigstens für den Moment. Bis der EU-Gipfel weitergeht zumindest. Gerade Angela Merkel wird häufig mit dem Vorwurf konfrontiert, gegen ihr eigenes Volk zu regieren. 
Auf die Politik zu schimpfen ist in unseren Breiten natürlich bereits seit je her Volkssport. Skandale, Korruptionsaffären, zahlreiche niveaulose Scheindebatten in den Parlamenten stehen an der Tagesordnung und erregen wenn, dann höchstens kurz Aufsehen. Man hat sich daran gewöhnt. Ob es früher besser war? Schwer zu sagen. Fest steht jedoch, dass man im Zeitalter von Internet und Web 2.0 wesentlich mehr davon mitbekommt, was später noch durch die etablierten Medien gefiltert wurde. Dinge, die man eigentlich gar nicht wissen will, zumal dadurch die Gefahr eines Magengeschwürs steigt.

Bürgerferne?

Zwischen Politik und Teilen des Volks scheint eine große Lücke zu klaffen. Viele haben schon lange das Gefühl, dass „die da oben“ ohnehin machen, was sie wollen. In ihrer eigenen Welt leben, in der ganz andere Regeln und Parameter gelten. Wo die Probleme und Schwierigkeiten des Alltags der breiten Masse und noch mehr derjenigen, die sozial ganz unten stehen, höchstens vom Hörensagen kennen, wenn überhaupt. Denn die Politik gehorcht ihren eigenen Gesetzen und ihre Akteure verfolgen eigene Ziele – die Vertretung des Volkes, das offizielle Hauptanliegen, tritt dabei gerne in den Hintergrund. Verstärkt wird dieser Eindruck durch die erkleckliche Gehälter, das Phänomen des Berufspolitikertums und die Dominanz der Parteien. Politik als Beruf ist keine Ausnahme, sondern vielfach zur Regel geworden. So bildet die Zusammensetzung des Parlaments das Volk streng genommen nicht in adäquater Weise ab, da in Österreich öffentlich Bedienstete und Bauern übermäßig stark repräsentiert während viele Abgeordnete hauptberuflich für ihre jeweilige Partei arbeiten. Ebenso gibt es nur wenige Junge (wen wundert da der Reformunwille beim maroden Pensionssystem), einen niedrigen Frauenanteil und relativ viele Akademiker. 
Noch schlimmer das Bild auf EU-Ebene. Brüssel wird das weit verbreitete Bild vom bürokratischen Moloch wohl nie abschütteln können – wie auch, ab einer gewissen Anzahl von Bürgern (im Falle der EU doch um die 450 Millionen) lässt sich das wohl schlichtweg nicht vermeiden. Dasselbe Problem kennt man in den USA, wo Washington als fernes und undurchschaubares Schaltzentrum der Macht gilt, schon länger.

Small is beautiful?

Der Ruf „mehr Europa wagen“ hat insofern einen fahlen Beigeschmack. Bedeutet er doch eine zusätzliche Kompetenzabgabe „nach oben“ und eine unweigerliche Verstärkung des Eindrucks von einer Institution, die die Interessen vieler Bürger nicht gebührend würdigt, ja teilweise sogar gegen diese arbeitet (ganz unabhängig davon, ob dem wirklich so ist).
Ein möglicher Ausweg, der in die andere Richtung führt, liegt in einer Rückbesinnung auf das Kleine. Einerseits das durch etwa in Artikel 5 des Vertrags über die Europäische Union und bis auf Aristoteles zurückgehende Subsidiaritätsprinzip als Maxime der Herrschaftsausübung. Kurz gefasst besagt es, dass Maßnahmen sollen soweit wie möglich auf lokaler Nähe gesetzt werden sollen. Andererseits durch die Stärkung kleinerer politischer Einheiten, also Gemeinden, Städte, Regionen oder Bundesländer. Schließlich sind diese nicht nur näher an den Betroffenen, sondern mitunter auch wesentlich effizienter.
Spätestens seit dem Aufstieg des zentralisierten europäischen Nationalstaats – mit dem post-revolutionären Frankreich als Paradebeispiel – gelten kleinere politische Einheiten ein Symbol von Rückständigkeit. Föderalistische Systeme sind außerdem oftmals schlecht konstruiert und bringen damit einen eigentlich sinnvollen Gedanken in Verruf – bestes Beispiel ist Österreich und das Problem, dass hier Einnahmen- und Ausgabenverantwortung auseinanderlaufen. Außerdem hat das Kleine gerade in Zeiten von Globalisierung, der Bildung beziehungsweise steigenden Bedeutung großer politischer Einheiten (allen voran die EU, die USA und China, aber auch Russland oder Indien) stetig an Bedeutung verloren. Die Probleme unserer Zeit lassen sich nur auf globaler Ebene und im Rahmen der dazugehörigen Institutionen (allen voran die UNO und ihre Teilorganisationen oder die WTO) lösen, heißt es.
Blickt man auf die Ereignisse der letzten Jahre zurück, muss man sich allerdings fragen, ob es nicht an der Zeit für eine Wiederbelebung und eine Rückbesinnung auf das Kleine ist. Wie der frühere Staatschef Liechtensteins, Alexander Frick, es so treffend ausdrückte: „Bis große Staaten ein Problem überhaupt bemerken, haben wir es schon zur Hälfte gelöst.“ Small is beautiful; nicht immer, aber doch oft genug.


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