Montag, 26. Oktober 2015

Nationalfeiertag: Zum gegenwärtigen Stand der Neutralität

Österreich feiert heute den Beschluss des Neutralitätsgesetzes von 1955. Ein kritischer Blick zeigt jedoch, dass die Neutralität mittlerweile viel von ihrer ursprünglichen Bedeutung eingebüßt hat. Die alljährlich damit einhergehende, jedoch gern unter den Tisch gekehrte Gretchenfrage – "nun sag, wie hast du's mit der Neutralität?" – bleibt weiter offen.
 Was bedeutet Neutralität?
Seit je her wurde viel über den Inhalt der Neutralität diskutiert. Zumindest abstrakt und allgemein ist die Sache klar in Artikel I des Neutralitätsgesetzes geregelt, der beinhaltet drei Verhaltenspflichten festlegt: Die „immerwährende Neutralität“, also die Erklärung, sich in sämtlichen zukünftigen Kriegen neutral zu verhalten. Ferner ist auch im Vorfeld darauf zu achten, nicht in Konflikte hineingezogen zu werden. Zweitens die Aufrechterhaltung und Verteidigung der Neutralität mit „allen [Österreich] zu Gebote stehenden Mitteln“ und, drittens, die auch in Friedenszeiten geltende Bündnisfreiheit sowie das Nicht-Zulassen der Errichtung von Militärbasen fremder Staaten.
Beitritt zu den Vereinten Nationen
Ein erstes Problemfeld ergab sich aufgrund des wenige Wochen nach dem Neutralitätsgesetz erfolgenden Beitritt Österreichs zu den Vereinten Nationen. Schließlich kann der Sicherheitsrat in Konfliktfällen aktiv eingreifen beziehungsweise Stellung beziehen und die Mitglieder entsprechend verpflichten. Dieser Schritt wurde als mit der Neutralität vereinbar gesehen, indem man zwischen Neutralitätsrecht und Neutralitätspolitik unterschied: Derartige Maßnahmen, „die ein Staat im eigenen Interesse ergreift, um seine Neutralität gegen innere und äußere Gefahren zu sichern“ wie es der österreichische Völkerrechtler Alfred Verdross formulierte, wurde damals von Großbritannien, Frankreich, den USA und auch der Sowjetunion akzeptiert. Dabei ist zu bedenken, dass die Vereinten Nationen kein Militärbündnis im genuinen Sinne sind. Vielmehr dienen sie ausdrücklich der Sicherung des Weltfriedens. Anlässlich der Resolutionen gegen den Irak aufgrund des Überfalls auf Kuwait von 1990 hat sich daher die Ansicht durchgesetzt, dass es sich bei Zwangsmaßnahmen des Sicherheitsrats um quasi-„Polizeiaktionen“ der internationalen Staatengemeinschaft handelt. Die Neutralität schließt die Beteiligung an durch ein UN-Mandat gedeckten Militäroperationen oder Wirtschaftssanktionen folglich nicht aus. Österreich hatte bereits 1965 ein eigenes Bundesverfassungsgesetz „über die Entsendung österreichischer Einheiten zur Hilfeleistung in das Ausland auf Ersuchen internationaler Organisationen“ verabschiedet und erstmalig auf dieser Grundlage 1967 Offiziere zur Beobachtungsmission nach Zypern entsandt.
Neutralität und EU
Ungleich schwieriger lässt sich der Beitritt zur Europäischen Union mit der Beibehaltung der Neutralität vereinbaren. Österreich hat sich schließlich zur Teilnahme an der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) verpflichtet und dabei auch keinen Neutralitätsvorbehalt abgegeben. Letztlich wurde die Neutralität durch den damals eigens geschaffenen Artikel 23f (heute Artikel 23j) Bundes-Verfassungsgesetz eingeschränkt, um die Beteiligung an Wirtschaftssanktionen der EU zu ermöglichen. Durch den Vertrag von Amsterdam ist auch die militärische Komponente hinzugetreten. Schließlich umfassen die damals aufgenommenen Petersberger Aufgaben unter anderem die militärischen Beratung und Unterstützung, Kampfeinsätze zur Krisenbewältigung einschließlich friedenschaffender Maßnahmen und Operationen zur Stabilisierung der Lage nach Konflikten. Letzten Endes ist dadurch eine österreichische Teilnahme an Militäroperationen ohne entsprechendes UN-Mandat grundsätzlich möglich – eine klare Verletzung der Neutralität. Darüber hinaus stellt die EU mit dem Vertrag von Lissabon, der eine Beistandspflicht im Falle eines bewaffneten Angriffs gegen ein EU-Mitglied vorsieht, ein Militärbündnis dar. Daran ändert auch der Verweis auf „ den besonderen Charakter der Sicherheits- und Verteidigungspolitik bestimmter Mitgliedstaaten“ – worunter auch Österreich fällt – nichts, zumal es im Falle eines Angriffs entsprechende Unterstützung von außen erhalten würde. Freilich lässt sich argumentieren, dass ein derartiges einseitig bevorteilendes Militärbündnis ohne korrespondierende Pflichten Österreichs nicht unter den im Neutralitätsgesetz genannten Begriff fällt.
NATO?
Auch wenn es weiten Teilen der Bevölkerung nicht bewusst sein dürfte und sie es wohl auch nicht billigen würden: Die Neutralität besteht seit dem EU-Beitritt und den darauf folgenden Verträgen nur noch in eingeschränkter Form. Die Debatte dreht sich insofern weniger um die Neutralität als solche, sondern um einen möglichen Beitritt zur NATO, derinsbesondere von Wolfgang Schüssel wenige Wochen nach den Anschlägen vom 11. September laut angedacht wurde. Realpolitisch wäre ein solcher freilich nur schwer umsetzbar. Die Neutralität hat sich schließlich jahrzehntelang bewährt und ist der Bevölkerung ans Herz gewachsen, sogar identitätsstiftende Wirkung wird ihr zugeschrieben. Obendrein ist die NATO spätestens seit der Kosovo-Intervention von 1999, aber auch der Vorgehensweise in Libyen 2011 und nicht zuletzt durch die Konfrontation mit Russland, das sich durch die Erweiterungspolitik gefährdet sieht, bei vielen in Verruf geraten.
Ungeachtet dessen lässt sich die Sinnhaftigkeit einer NATO-Mitgliedschaft hinterfragen. Auch beziehungsweise gerade in Zeiten der weltpolitischen Polarisierung und Blockbildung sehen viele gute Gründe für die Beibehaltung zumindest eines Rests an Neutralität. Ob ihnen die Politik langfristig folgen wird, steht freilich auf einem anderen Blatt.

Sonntag, 25. Oktober 2015

does the Islamic State have a population in the sense of the statehood criteria?

Is the "Islamic State" a state in the sense of international law? After all, two out of the three classical criteria for statehood can be said to be fulfilled as it has been controlling a considerable portion of territory for quite some time now and it seems to be functioning better than some well-established states. The main question (leaving the old doctrinal debate on recognition aside) is whether it has a permanent population.
Some try to portray it as as an alien force composed of countless foreign soldiers and thus somewhat acting against the will of those living under its reign. That, however, seems to be only part of the story. After all, an insightful VICE documentary on the Islamic State from a couple of months ago reveals that it guarantees one thing people yearn during times of war: Stability and security. This finding is further supported by a more recent VICE documentary on people living in territory re-captured from the Islamic State by Kurdish Peshmerga forces. As one of the men there says, "May God save the Islamic State. [...] the Islamic State has discipline". From this perspective, it could certainly be argued that the Islamic State also has a permanent population. After all, we must not forget the countless former colonies lacking a sense of common identity, nationhood, unity, or trust into their government.

Freitag, 23. Oktober 2015

Russian opinio iuris on Syria and preemptive/preventive strikes?

"...the streets of Leningrad have taught me one thing. If a fight is inevitable... you should strike first, hit first."

Mittwoch, 21. Oktober 2015

Das Pirinçci-Prinzip

Seit seinem KZ-Sager ist Akif Pirinçci um einen – seinen bislang größten – Skandal reicher. Angesichts seiner mittlerweile weithin bekannten Attitüde war es wohl nur eine Frage der Zeit, bis er endgültig übers Ziel hinausschießt beziehungsweise eine Gelegenheit für seine Demontage bietet.
Akif Pirinçci ist eine Nebenwirkung der political correctness. In einer Welt, in der man seine Worte sehr vorsichtig wählen muss, fährt er mit der Sensibilität eines sowjetischen Panzers durch den Diskurs-Porzellanladen. Pirinçci vermittelt vielen das Gefühl, dass sich endlich mal einer traut, Wahrheiten anzusprechen und sich kein Blatt vor den Mund zu nehmen. Der kalkulierte Tabubruch in Bezug auf hochsensible Themen, bei denen ein tiefer Graben zwischen Teilen der öffentlichen und der veröffentlichten Meinung besteht – man könnte es das Pirinçci-Prinzip nennen.
Gestützt auf seinen türkischen Migrationshintergrund, so die Wahrnehmung, „durfte“ er sich in dieser immer noch heiklen Debatte mehr herausnehmen. So wie türkische Comedians sich über Deutschtürken und deren Duktus lustig machen oder indische über Inder und deren Akzent und so weiter. Wo Sarrazin mit Zahlen gekommen ist, kam Pirinçci mit subjektiven Eindrücken verpackt in Brachialsuaden.
Die Deutschtürken sind freilich nur ein Aspekt, die zweite Stütze seines Erfolgs waren und sind (?) seine Verbalattacken gegen Politiker (die Grünen vor laufender Kamera aufgrund der Pädophilie-Debatte als „Kindersexpartei“ zu bezeichnen dürfte gut angekommen sein), die LGBT-Community, die etablierten Mainstream-Medien, den Islam oder Migration. Kurzum: Allesamt Themen, bei denen viele das Gefühl haben, dass dass die öffentliche Debatte eingeschränkt und verzerrt ist. Man gewisse Meinungen und Ansichten nicht zulässt beziehungsweise unterdrückt. Bestimmte Vorkommnisse heruntergespielt oder gar nicht erst berichtet werden. Stichwort „Lügenpresse“. Das ist das Klima, in dem Parteien, wie die FPÖ und die AfD (aber auch PEGIDA), sowie neben Pirinçci eine Reihe weiterer Autoren und deren Verlage, sowie als unseriös angesehene Nachrichtenportale wachsen und gedeihen. Dazu eine entsprechende Facebook-Parallelwelt, in der Sätze und Wortformeln wie „das hat nichts mit dem Islam zu tun“ oder „bedauerlicher Einzelfall“ als schwache Beschwichtigungsversuche und blanker Hohn für jeden gelten, der sich genauer informiert. Hier haben Worte wie „rechtsextrem“, „Nazi“ oder „Rassist“ aufgrund ihrer häufigen Verwendung viel von ihrer Bedeutung verloren. Dass der deutsche Justizminister Heiko Maas seit Wochen aktiv für eine Verschärfung des Vorgehens gegen Rechtsextremismus in sozialen Netzwerken eintritt, sehen viele nur als weiteren Schritt in Richtung Totalitarismus.
Pirinçci hatte jedoch von Anfang ein Problem. Das gezielte Schockieren mit Aussagen, die sonst kaum wer im öffentlichen Raum tätigt, nützt sich irgendwann ab. Irgendwann setzt die Gewöhnung ein. Wie man aus der Popkultur weiß, gibt es dann zwei Möglichkeiten: „Neu-Erfinden“ und damit eventuell viele angestammte Fans vergraulen oder mit den bewährten Mitteln weiter eskalieren bis man irgendwann die Grenzen überschreitet oder sich zumindest verschätzt; denn was er genau gesagt und gemeint hat, ist angesichts dessen, wie leicht man sich in Deutschland mit dem Nationalsozialismus die Finger verbrennen kann, übrigens allenfalls zweitrangig. Pirinçci hat den zweiten Weg gewählt, der zwar einfacher begehbar, aber dafür eben auch kürzer ist.Ob er bereits jetzt weg vom Fenster ist oder aufgrund der kollektiven Verurteilung noch einmal ein Revival als quasi-Märtyrer erleben darf, wird sich erst weisen.

Dienstag, 20. Oktober 2015

Von kleinen und großen Grenzen

Die Debatte rund um die inner- und außereuropäischen Grenzen erreicht derzeit eine neue Dimension. Was noch vor wenigen Monaten undenkbar erschien und auf vereinzelte Episoden zeitlich begrenzter verstärkter Kontrollen beschränkt war, wird heute zumindest öffentlich diskutiert. Rainer Wendt, seines Zeichens immerhin Chef der deutschen Polizeigewerkschaft, hat dieser Tage einen Tabubruch begangen und die Errichtung eines Grenzzauns zu Österreich gefordert. Wodurch – wie von Wendt auch so gewollt – eine Kettenreaktion auslösen könnte, weil Österreich wiederum seine Grenze zu Slowenien schließen könnte und so weiter. Womit konsequent zu Ende gedacht also der gesamte Schengen-Acquis in Frage gestellt wird. Angesichts der fundamentalen Bedeutung der Beseitigung der innereuropäischen Grenzen ist klar: Die Sache dürfte im Argen liegen.
Bei genauerer Betrachtung kommt die neue Sehnsucht nach alten Grenzen nicht von irgendwo, vielmehr ist sie dem Schengen-Acquis inhärent. Schließlich war die kollektive und umso stärkere Absicherung der EU-Außengrenzen Grundbedingung für den gemeinsamen europäischen Raum. Woraus sich einmal mehr eine historische Konstante offenbart: Wo alte Grenzen wegfallen, werden oftmals neue errichtet. Oder eben auch wiedereingeführt.
Dazu muss es nicht unbedingt beziehungsweise ausschließlich auf zwischenstaatlicher Ebene kommen. Wenn das Vertrauen in den öffentlichen Grenzschutz sinkt und in weiterer Folge einzelne ihre Sicherheit geringer einschätzen, stehen an letzter Stelle gated communities, Alarmanlagen, Wachhunde und private Schusswaffen. Der Unterschied zwischen privaten und öffentlichen Grenzen ist so gesehen nur gradueller Natur.
Doch während Privatpersonen im Regelfall (von Extrembeispielen abgesehen) ausschließlich ungebetene Eindringlinge fernhalten wollen („You kids get off my lawn!“), waren und sind viele totalitäre Staaten auch bestrebt, die ungehinderte Ausreise der eigenen Bevölkerung, die ansonsten mit den Füßen abstimmen würde, zu verhindern – der Hauptgrund für das weithin negative Bild von Grenzen. Die Berliner Mauer und allgemeiner die innerdeutsche Grenze, um das in hiesigen Breiten prominenteste Beispiel zu nennen (wiewohl an der tschechoslowakischen Grenze zu Österreich noch mehr Menschen verstorben sind) mitsamt den dazugehörigen Schießbefehlen und Selbstschussanlagen richtete sich in erster Linie gegen die Straftat der „Republikflucht.“ Mit anderen Worten: Im Kalten Krieg hat sich weniger der „Westen“ effektiv abgeschottet – vielmehr war der „Osten“ eingesperrt.
Doch auch die Abschottungsfunktion steht – unabhängig davon, auf welcher Ebene sie stattfindet – bei vielen in Verruf. Der polnische Soziologe Zygmunt Bauman etwa bezeichnete die Errichtung einer „Festung Europa“ und die Herausbildung von gated communities in seiner Schrift "Liquid Times" als gleichermaßen zum Scheitern verurteilte Reaktionen auf die zunehmende Fragilität des Staates und seiner Institutionen. Am Ende, so Bauman, führt eine derartige Segregation jedoch zu noch mehr Angst vor dem Fremden ohne das Problem an der Wurzel zu packen. Kritiker wiederum würden freilich einwenden, dass es einen gravierenden Unterschied macht, ob man sophistisch vom Lehrstuhl aus über Segregation und soziale, kulturelle oder religiöse Durchmischung fabuliert oder ihre derzeitigen Erscheinungsformen in einschlägig bekannten Städten und Vierteln tagtäglich erlebt.
Wie die Wurzeln der neuen Unsicherheiten auf eine realpolitisch umsetzbare Art und Weise angepackt werden könnten, steht freilich auf einem anderen Blatt. Die Negativbeispiele – allen voran die Banlieus – sind allgemein bekannt, selbst Schweden hat seit den Krawallen von Stockholm und auch in Bezug auf die gegenwärtige Aufnahme von Flüchtlingen viel von seinem Status als Musterland der Integration eingebüßt. Im Moment regieren dementsprechend Ungewissheit und Sorge. So gesehen könnte der Trend, sich in irgendeiner Form staatlich oder, so dies nicht hinreichend geschieht, privat abzugrenzen, mitunter erst am Anfang stehen.

Samstag, 17. Oktober 2015

Was wurde eigentlich aus der Empörung?

Vor ziemlich genau 5 Jahren veröffentlichte Stéphane Hessel seine Kampfschrift Empört Euch! (Indignez-yous!), ein Aufruf, den er mit zahlreichen Missstände – vom globalen Wirtschafts- und Finanzsystem über die verfehlte Sozial- über Entwicklungspolitik bis hin zum Umweltschutz – begründete. Nachdem seine Worte damals einige Wochen lang für Aufsehen sorgten und Anlass für unzählige Diskussionen gaben, sind sie letztlich ebenso versandet wie sein diffuser Aufruf, Widerstand zu leisten. Bleibt die Frage, ob wir das Empören einmal mehr wieder verlernt oder zumindest vergessen haben; und wieso auf die Empörung oft nichts weiter folgt. Ob wir uns gar zu viel empören?

Anlass zur Empörung

Anlässe zur Empörung gibt es freilich immer zur Genüge. Die von Hessel genannten Probleme bestehen nach wie vor beziehungsweise haben sie sich verschärft. Auch wenn Politiker gerne anderes behaupten: Die Wirtschaftskrise ist nicht beendet, ganz im Gegenteil. Vielmehr wird sie seit geraumer Zeit verschoben bis verschleppt (das langsame Dahinsiechen seit 2008 erinnert an die wirtschaftliche Situation in Japan seit den 1990er Jahren, wobei dort weniger sozialer Sprengstoff gelagert ist). Kaum verwunderlich, dass die Menschen heute über weniger Geld verfügen als 2007. Allgemein besteht die Gefahr, dass die damals und bis heute getroffenen Maßnahmen das Ausmaß der Krise letzten Endes vergrößert haben und ein neuerliches Ausbrechen die Auswirkungen von 2008 in den Schatten stellen werden.
Dazu sind neue Probleme getreten, etwa die HYPO-Saga und vor allem die Asylkrise. Wie die enorme Polarisierung in dieser Angelegenheit gezeigt hat, interessanterweise unabhängig davon, wie man zu diesem Thema steht.
Und dann noch die vielen kleinen Dinge, an die wir uns schon gewöhnt haben. Wenn man etwa bei Dossier von den Unsummen liest, die von Regierung, Parteien oder staatsnahen bis staatlichen Unternehmen für Inserate ausgegeben werden; das Einzahlen des ÖH-Beitrags zu Semesterbeginn, der einen über den Zustand der ÖH und der österreichischen Hochschulen sinnieren lässt (erinnert sich noch jemand an die Audimax-Besetzung? Was hat sich seitdem getan?); die anlässlich jeder neuen Budgetrede schwindende Hoffnung, an die Wortformel der sicheren Pensionen zu glauben (heuer werden 340 Millionen € zusätzlich zugeschossen).

„The revolution will not be televised“

Meistens bleibt es jedoch bei der Empörung. Man denke an die HYPO-Saga: Hier ist am Ende des Tages nichts geschehen, wiewohl ein für österreichische Verhältnisse erstaunlich lautes Raunen durch die Medienwelt ging. Ja, man hat geschimpft, manche sind sogar Hessels Aufruf gefolgt und in den Steuerstreik getreten. Aber im Großen und Ganzen ist die Bevölkerung ruhig geblieben, lediglich 600 Personen haben etwa für einen HYPO-U-Ausschuss demonstriert. Gerade hier hat sich einmal mehr gezeigt, wie viel wir alle uns gefallen lassen, solange der Lebensstandard nicht maßgeblich leidet. Mit anderen Worten: Solange der Österreicher am Sonntag sein Schnitzer’l am Tisch hat, revoltiert er nicht. Dann bleibt es bei der reinen Empörung, auf die nichts weiter folgt. Bloße Zahlen, selbst wenn es sich um unfassbare 19 Milliarden € Kosten handelt, sind eben zu kalt um tiefgreifende Emotionen zu wecken.
Vielleicht ist Empörung dem aktiven Handeln oft sogar abträglich. „The revolution will not be televised“ hieß es bereits um 1970 herum: Vielleicht begünstigt das Verfassen von Blogeinträgen und das Teilen von kritischen Artikeln via Facebook, Twitter und ähnlichem sogar die Passivität. Bekommt man doch das Gefühl, nicht gänzlich schweigsam alles hinzunehmen. Zumindest Dampf abgelassen zu haben. Spürt dadurch, mit seinem Ärger nicht allein zu sein, womit es irgendwann dann doch einmal reicht und die angestaute Empörung sich doch noch entladen wird. Durchaus denkbar, dass die daraus resultierende tägliche Konfrontation mit unzähligen Missständen aller Art aber auch einfach nur in das Gefühl von Ohnmacht mündet.

Ohnmacht züchtet Wut, heißt es; aber Wut bewirkt nur selten Positives. Davon abgesehen – und hier schließt sich der Kreis – führt Ohnmacht meistens jedoch zu Resignation: „Weil’s eh nichts bringt.“ So gesehen gilt es sich zu fragen, ob wir mit unserer Empörung sorgsamer umgehen sollten, um sie nicht gänzlich zu verlieren. 

Mittwoch, 14. Oktober 2015

Die syrische Gewaltspirale dreht sich weiter

In Syrien kommt es derzeit, wie es wohl kommen musste: Das verstärkte – direkte – Eingreifen Russlands und die Beteiligung tausender iranischer Soldaten bei einer anstehenden Offensive gegen Aleppo haben zu der erwartbaren Gegenreaktion von Seiten der anderen involvierten Staaten geführt. Eine baldige Beendigung scheint unter diesen Bedingungen schwieriger denn je.

Saudische und US-Amerikanische Unterstützung

Wie BBC berichtet, hat Saudi Arabien unter Billigung der USA einem nicht namentlich genanntem hochrangigem Regierungsmitarbeiter zufolge das Ausmaß seiner Waffenlieferungen stark erhöht. Daneben blieben Katar und die Türkei bei der Unterstützung der sunnitischen Kämpfer ebenfalls von vitaler Bedeutung. Außerdem betonte er, dass weder der Islamische Staat – der ja ohnedies trotz der ideologischen Nähe mit dem saudischen Königshaus auf Kriegsfuß steht – noch die al-Nusra Front beliefert wurden. Bei den Adressaten soll es sich vielmehr um Dschaisch al-Fatah (die Armee der Eroberung) sowie die Free Syrian Army und die zu ihr gehörende Südliche Front handeln. Laut einer durch das Institute for the Study of War kürzlich veröffentlichten Zusammenstellung der verschiedenen Oppositionellen handelt es sich um „moderate“ Gruppen, wobei hier natürlich stets Skepsis angebracht ist. Einmal mehr gilt die alte Binsenweisheit „one man’s terrorist is another man’s freedom fighter“; in den Augen Russlands und Assads handelt es sich jedenfalls bei sämtlichen Regimegegnern um Terroristen, weshalb auch bei der Auswahl der Ziele nicht differenziert wird.
Unter anderem handelte es sich um in den USA hergestellte hochmoderne Waffen zur Panzerabwehr, auf lange Sicht könnten sogar Luftabwehrraketen folgen – was bislang an der Sorge davor scheitert, dass diese in die falschen Hände geraten könnten, womit Flugzeuge der Allianz gegen den Islamischen Staat oder sogar zivile Luftfahrtzeuge in Gefahr wären.
Die USA selbst haben Berichten zufolge 50 Tonnen Munition im Norden Syriens abgeworfen, die von Truppen der Syrisch-Arabischen Koalition eingesammelt wurden, die damit gemeinsam mit der kurdischen YPG eine gemeinsame Offensive auf das Machtzentrum des Islamischen Staats Raqqa plant.

Das Elend der Stellvertreterkriege

Die gegenwärtigen Entwicklungen zeigen einmal mehr: In Syrien handelt es sich seit Längerem um einen Stellvertreterkrieg, bei dem sich letztlich auch die USA und Russland gegenüberstehen. Erinnerungen an frühere unselige Zeiten sind folglich nur allzu naheliegend – schließlich handelt es sich um das erste militärische Vorgehen Russlands außerhalb der ehemaligen Sowjetunion seit Ende des Kalten Krieges. Wie Russlands dieses sich letztlich auswirken wird, ist trotz der gegenwärtigen Erfolgsmeldungen noch offen, zumal viel davon abhängt, wie weit die Kontrahenten Assads und in weiterer Folge des Irans und auch Russlands gehen wollen. Die sowjetische Intervention in Syrien 1957 oder auch die Invasion in Afghanistan 1979 waren jedenfalls nicht sonderlich erfolgreich. Selbiges gilt freilich auch für die letzten Interventionen von Seiten des Westens und seiner Verbündeten. Aber von Gewinnern kann man bei Kriegen allgemein und bezugnehmend auf Syrien im Besonderen ohnehin nicht sprechen.

Montag, 12. Oktober 2015

Syria: The spiral of violence continues

No surprising news from Syria; as BBC reports, the Russian involvement has in turn led to an increased level of Saudi assistance to the "Rebels" under attack while the US has just delivered 50 tons of ammunition. Once again, interventionism from one side leading to a reaction from the other. Small wonder that a peaceful solution to the conflict in Syria is nowhere in sight. Once again: This is a proxy war between Iran/Russia and Saudi Arabia/Qatar/the US and its allies. No side is putting enough effort into the conflict to end it decisively, but enough to keep it going.
Relatedly, the New York Times has published some useful maps on the impact and locations of the Russian airstrikes.

Donnerstag, 8. Oktober 2015

Wirtschaft und Frieden

 "Wenn Güter keine Grenzen überqueren werden es Armeen tun" soll der große Franzose Frederic Bastiat gesagt haben. Eine simple Feststellung, die bis heute die Grundlage für die Annahme einer inhärenten Nahebeziehung zwischen wirtschaftlicher Integration und (zwischenstaatlichem) Frieden bildet.
1909 veröffentlichte der Brite Norman Angell sein Werk "The Great Illusion" (damals noch unter dem Titel "Europe's Optical Illusion"), das viele als Grundlage der Internationalen Beziehungen als eigene wissenschaftliche Disizplin erachten. Sein Hauptargument entspricht jenem Frederic Bastiats: Freier Handel und wirtschaftliche Verflechtung stiften Frieden, da sich Kriegsführung unter diesen Bedingungen wirtschaftlich nicht auszahlt. Entgegen vieler Kritiker, die seine Thesen durch den Ausbruch des Ersten Weltkriegs als klar widerlegt ansehen, hat er jedoch niemals behauptet, dass wirtschaftliche Integration die Kriegsführung abgeschafft habe.
Der Bastiatsche und Angellsche Grundgedanke lebt bis heute fort und bereitete die Grundlage für die Errichtung der Europäischen Union aber auch der WTO. So beinhaltete bereits der Vorläufer der UN Charter, die als Atlantic Charter bezeichnete gemeinsame Erklärung der US-Amerikanischen und britischen Kriegsziele von 1941, folgende Bestimmungen:

4.They will endeavour with due respect for their existing obligations, to further enjoyment by all States, great or small, victor or vanquished, of access, on equal terms, to the trade and to the raw materials of the world which are needed for their economic prosperity.
5. They desire to bring about the fullest collaboration between all nations in the economic field, with the object of securing for all improved labour standards, economic advancement, and social security.
 Auch die aus der Zeit unmittelbar nach Ende des Zweiten Weltkriegs stammende (jedoch aufgrund des Widerstands des US-Kongress niemals in Kraft getretene) Havanna Charter, die die Grundlagen der Weltwirtschaftsordnung geregelt hätte, sprach in ihrem ersten Artikel davon, die
determination of the United Nations to create conditions of stability and well-being which are necessary for peaceful and friendly relations among nations
 anzuerkennen zur Erfüllung dieses Ziels beitragen zu wollen. Dabei gilt es freilich eines zu bedenken: Wie die beiden Weltkriege gezeigt haben, ist freier Handel alleine jedoch kein Garant für zwischenstaatlichen Frieden. Schließlich waren die Staaten Europas vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs miteinander ähnlich stark wirtschaftlich verflochten wie heute. Politische Auseinandersetzungen, oft beeinflusst durch wirtschaftliche Interessen von dem Staat nahestehenden (wirtschaftlichen) Interessengruppen, genießen oft genug Vorrang vor rationalen ökonomischen Überlegungen.

Montag, 5. Oktober 2015

ein paar eigene Ausführungen zu Syrien


Vom Scheitern und Zynismus des Westens:
Wie die USA und ihre Verbündeten die Lage in Syrien eingeschätzt haben, lässt sich von außen nur schwer feststellen. Die zentrale und bis heute ungeklärte Frage besteht darin, wie man sich das Land nach dem Sturz Assads vorgestellt hatte. Sofern man wirklich dachte, dass es sich zu einer liberalen Demokratie entwickeln würde, wäre eine derartige Naivität höchst verwunderlich bis besorgniserregend. Anderseits könnte nur der zynischste Geopolitiker die wohl realistischste Option, ein fundamentalistisch-wahhabistisches Regime unter der Fuchtel Saudi Arabiens, ernsthaft gutheißen.
Bleibt offen, ob der hohe Preis für den Abgang Assads von Anfang an absehbar war oder aufgrund des relativ einfachen Sturzes Gaddafis übertriebener Optimismus vorherrschte. Jedenfalls dürfte man die syrische Armee unterschätzt beziehungsweise Assad zu früh (jedenfalls politisch) totgeglaubt haben. Dabei eventuell mit einem weniger weitgehendem Eingreifen von Seiten des Iran und Russlands gerechnet. Den Aufstieg des Islamischen Staats nicht vorhergesehen, jedenfalls nicht in dieser Form. Unabhängig davon: Die westliche Strategie, so es eine gegeben hat, ist entweder phänomenal gescheitert oder jedenfalls – milde ausgedrückt – ziemlich fragwürdig. Kein Wunder, dass viele das verstärkte russische Engagement und eine etwaige Rückkehr zum status quo ante begrüßen.
 
https://www.fischundfleisch.com/blogs/politik/regimewechsel-in-syien-ein-hoher-preis.html 

Versuch einer Analyse, wie es in Syrien so weit kommen konnte und wie weit es noch gehen könnte

http://derstandard.at/2000022973865/Krieg-in-Syrien-Kein-Ende-nirgends

Zur rechtlichen Grundlage/Erlaubtheit der russischen Intervention:

http://www.verfassungsblog.de/russisches-eingreifen-in-syrien-eine-frage-der-anerkennung/