Samstag, 17. Oktober 2015

Was wurde eigentlich aus der Empörung?

Vor ziemlich genau 5 Jahren veröffentlichte Stéphane Hessel seine Kampfschrift Empört Euch! (Indignez-yous!), ein Aufruf, den er mit zahlreichen Missstände – vom globalen Wirtschafts- und Finanzsystem über die verfehlte Sozial- über Entwicklungspolitik bis hin zum Umweltschutz – begründete. Nachdem seine Worte damals einige Wochen lang für Aufsehen sorgten und Anlass für unzählige Diskussionen gaben, sind sie letztlich ebenso versandet wie sein diffuser Aufruf, Widerstand zu leisten. Bleibt die Frage, ob wir das Empören einmal mehr wieder verlernt oder zumindest vergessen haben; und wieso auf die Empörung oft nichts weiter folgt. Ob wir uns gar zu viel empören?

Anlass zur Empörung

Anlässe zur Empörung gibt es freilich immer zur Genüge. Die von Hessel genannten Probleme bestehen nach wie vor beziehungsweise haben sie sich verschärft. Auch wenn Politiker gerne anderes behaupten: Die Wirtschaftskrise ist nicht beendet, ganz im Gegenteil. Vielmehr wird sie seit geraumer Zeit verschoben bis verschleppt (das langsame Dahinsiechen seit 2008 erinnert an die wirtschaftliche Situation in Japan seit den 1990er Jahren, wobei dort weniger sozialer Sprengstoff gelagert ist). Kaum verwunderlich, dass die Menschen heute über weniger Geld verfügen als 2007. Allgemein besteht die Gefahr, dass die damals und bis heute getroffenen Maßnahmen das Ausmaß der Krise letzten Endes vergrößert haben und ein neuerliches Ausbrechen die Auswirkungen von 2008 in den Schatten stellen werden.
Dazu sind neue Probleme getreten, etwa die HYPO-Saga und vor allem die Asylkrise. Wie die enorme Polarisierung in dieser Angelegenheit gezeigt hat, interessanterweise unabhängig davon, wie man zu diesem Thema steht.
Und dann noch die vielen kleinen Dinge, an die wir uns schon gewöhnt haben. Wenn man etwa bei Dossier von den Unsummen liest, die von Regierung, Parteien oder staatsnahen bis staatlichen Unternehmen für Inserate ausgegeben werden; das Einzahlen des ÖH-Beitrags zu Semesterbeginn, der einen über den Zustand der ÖH und der österreichischen Hochschulen sinnieren lässt (erinnert sich noch jemand an die Audimax-Besetzung? Was hat sich seitdem getan?); die anlässlich jeder neuen Budgetrede schwindende Hoffnung, an die Wortformel der sicheren Pensionen zu glauben (heuer werden 340 Millionen € zusätzlich zugeschossen).

„The revolution will not be televised“

Meistens bleibt es jedoch bei der Empörung. Man denke an die HYPO-Saga: Hier ist am Ende des Tages nichts geschehen, wiewohl ein für österreichische Verhältnisse erstaunlich lautes Raunen durch die Medienwelt ging. Ja, man hat geschimpft, manche sind sogar Hessels Aufruf gefolgt und in den Steuerstreik getreten. Aber im Großen und Ganzen ist die Bevölkerung ruhig geblieben, lediglich 600 Personen haben etwa für einen HYPO-U-Ausschuss demonstriert. Gerade hier hat sich einmal mehr gezeigt, wie viel wir alle uns gefallen lassen, solange der Lebensstandard nicht maßgeblich leidet. Mit anderen Worten: Solange der Österreicher am Sonntag sein Schnitzer’l am Tisch hat, revoltiert er nicht. Dann bleibt es bei der reinen Empörung, auf die nichts weiter folgt. Bloße Zahlen, selbst wenn es sich um unfassbare 19 Milliarden € Kosten handelt, sind eben zu kalt um tiefgreifende Emotionen zu wecken.
Vielleicht ist Empörung dem aktiven Handeln oft sogar abträglich. „The revolution will not be televised“ hieß es bereits um 1970 herum: Vielleicht begünstigt das Verfassen von Blogeinträgen und das Teilen von kritischen Artikeln via Facebook, Twitter und ähnlichem sogar die Passivität. Bekommt man doch das Gefühl, nicht gänzlich schweigsam alles hinzunehmen. Zumindest Dampf abgelassen zu haben. Spürt dadurch, mit seinem Ärger nicht allein zu sein, womit es irgendwann dann doch einmal reicht und die angestaute Empörung sich doch noch entladen wird. Durchaus denkbar, dass die daraus resultierende tägliche Konfrontation mit unzähligen Missständen aller Art aber auch einfach nur in das Gefühl von Ohnmacht mündet.

Ohnmacht züchtet Wut, heißt es; aber Wut bewirkt nur selten Positives. Davon abgesehen – und hier schließt sich der Kreis – führt Ohnmacht meistens jedoch zu Resignation: „Weil’s eh nichts bringt.“ So gesehen gilt es sich zu fragen, ob wir mit unserer Empörung sorgsamer umgehen sollten, um sie nicht gänzlich zu verlieren. 

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