Mittwoch, 13. Januar 2016

EU eröffnet Verfahren gegen Polen: Kommt jetzt ein Solidarisierungseffekt?

Es ist amtlich: Die EU (genauer gesagt die europäische Kommission) wird zum ersten Mal die Rechtsstaatlichkeit in einem EU-Mitgliedsland formal untersuchen. Offen bleibt, wie dieser Schritt beim polnischen Wahlvolk ankommt.
Die neue polnische Regierung und die von ihr getätigten Schritte stehen seit je her im Kreuzfeuer der Kritik. Begriffe wie "Staatsstreich", "neuer Nationalismus" und "Totalitarismus" stehen im Raum.
Für ein gewisses Mindestalter aufweisende politisch interessierte Österreicher werden Erinnerungen an die schwarzblaue Regierungsbildung der Jahrtausendwende wach. Zur Erinnerung: Die übrigen EU-Mitglieder beschlossen damals, die neu gebildete Regierung aufgrund der Beteiligung der damaligen Haider-FPÖ politisch zu isolieren (weswegen es sich um keine Sanktionen im eigentlichen Sinne handelte). Jörg Haider war damals schließlich eine der politisch brisantesten Figuren Europas (man erinnere sich nur an das Titelbild des Time-Magazins vom Februar 2000, auf dem sich sein Konterfei mit der Unterschrift "Should Europe Fear This Man?" befand), viele befürchteten einen Rückfall Österreichs in unsägliche Zeiten – "wehret den Anfängen" lautete die Devise. Bis heute ist vielen die Aussage des damaligen belgischen Außenministers Louis Michel in Erinnerung, dass Skifahren in Österreich "unmoralisch" sei und Belgier folglich ihren Urlaub stornieren sollten.
Viele Sozialdemokraten beziehungsweise, allgemeiner, Kritiker an der Regierungsbeteiligung der FPÖ waren froh über die Unterstützung aus dem Ausland. Darüber, nicht alleine gelassen zu werden. Die Angst vor einem radikalen Staatsumbau unter Missachtung fundamentaler Menschenrechte ging um.
Allgemein führten die "EU-Sanktionen" jedoch zu einem weitgehendenSolidarisierungsffekt mit der Regierung. Ein signifikanter Bevölkerungsanteil, darunter auch viele Gegner der FPÖ, empörte sich über die bis dato weitgehendste Einmischung in die innenpolitischen Angelegenheiten eines EU-Mitgliedslands. Darüber, im Ausland pauschal als "Nazis" diffamiert zu werden und auch über die moralische Erhabenheit, mit der viele ausländische Politiker auftraten. Nicht zuletzt, weil man sich in Österreich über die verbalen Entgleisungen Haiders beziehungsweise seiner Gefolgsleute gewöhnt hatte, während sie anderswo aufgrund ihrer Neuheit noch für Entsetzen sorgten. Letzten Endes war die schwarzblaue Regierung durch die Entscheidung des österreichischen Wahlvolks gedeckt (auch wenn Wolfgang Schüssel eigentlich angekündigt hatte, als Dritter in Opposition gehen zu wollen).
Gut möglich, dass die Reaktionen in Polen ähnlich ausfallen wie anno dazumal in Österreich. Einmischungen und Kritik von außen sind eine stets ambivalente Angelegenheit, auch für jene, die der eigenen Regierung nicht freundlich gesonnen sind. "Die EU" – das muss man gerade in Österreich nicht näher ausführen – gilt in ganz Europa so einigen als ein bürgerferner und bürokratischer Moloch. Dass etwa der für Medien zuständige EU-Kommissar Günther Oettinger als Deutscher davon gesprochen hat, "Warschau unter Aufsicht" stellen will, weckt bei vielen historische Assoziationen, die auch bereits entsprechend instrumentalisiert wurden. Man darf auf den Ausgang und die Effektivität des gegen Polen eingeleiteten Verfahrens folglich mehr als gespannt sein.

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