Montag, 9. November 2015

TTIP, Kapitalismus und Neoliberalismus


Spätestens seit der unsäglichen Debatte rund ums Chlorhuhn erhitzt TTIP, die zwischen den EU und den USA geplante „Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft“, die Gemüter. Hier stehen einander zwei Blöcke gegenüber, die sich prima facie nur schwer bis gar nicht auf einen gemeinsamen Nenner bringen lassen.

TTIP – pros und cons

Proponenten von TTIP verstehen die Aufregung nicht. Sie betonen die wohlfahrtsfördernde Wirkung von Freihandel im Allgemeinen und die gerade in Zeiten wie diesen drängende weltpolitische Notwendigkeit eines noch näheren Zusammenrückens der EU und der USA. Gerade die Aufregung rund um das Chlorhuhn habe gezeigt, dass hier irrationale Ängste geschürt werden, die einer näheren Betrachtung nicht standhalten. Lapidar formuliert: Ob man ein Huhn mit Antibiotika vollstopft oder in Chlorwasser taucht, läuft letzten Endes mehr oder minder auf dasselbe hinaus. Allgemeiner gesprochen wird oft auch vergessen, dass die EU nicht durchwegs höhere Standards aufweist als die USA. Ebenso stehe die Privatisierung von Wasser oder der Müllabfuhr bis hin zum Kulturbereich nicht zur Disposition. Selbst die besonders große und dementsprechend emotional diskutierte Sorge vor der Internationalen Schiedsgerichtsbarkeit sei verzerrt: Beispielsweise wird bei Klagen und den damit verbundenen in der Tat exorbitant hohen Summen gerne so getan, als wäre bereits ein zu Ungunsten des betroffenen Staats ergehendes Urteil gefällt worden. Tatsächlich gäbe es insgesamt jedoch kaum Urteile, die den Horrorszenarien entsprechen. Hinzu kommt, dass – so etwa bei Vattenfall II – das vorherige Verhalten der betroffenen Regierung gerne unterschlagen wird.
Man könnte jetzt zu jedem einzelnen der oben kurz angeschnittenen Punkte wiederum Gegenargumente anführen; den „chilling effect“, der von der Gefahr einer Klage ausgeht etwa: Damit meint man, dass viele Klagen gar nicht erst eingebracht werden, weil Regierungen es nicht so weit kommen lassen wollen und dementsprechend in ihrem Handlungsspielraum eingeschränkt werden. Dass die Problematik rund ums Chlorhuhn sich weniger um Hygienevorschriften als um Massentierhaltung dreht. Oder, dass die positiven Effekte von TTIP letztlich höchst überschaubar sein dürften beziehungsweise nur Konzernen davon profitieren, nicht aber einzelne Kunden oder Klein- bis Mittelunternehmer.

Die Systemfrage

TTIP ist jedoch Teil einer weitergehenden Debatte. Es erregt die Gemüter letztlich vor allem deshalb, weil es aufgrund seiner Thematik ein weiteres Schlachtfeld in der größeren Systemfrage darstellt, die auch heute, über 25 Jahre nach dem Fall der Berliner Mauer, nicht geklärt ist. Gerade hier entzündet sich einmal mehr vehemente Kritik an eindeutig negativ konnotierten Schlagworten wie Kapitalismus und Neoliberalismus.
So gilt TTIP für Befürworter letztlich lediglich als „more of the same“ von ohnehin bereits für selbstverständlich erachteten Prinzipien – Freihandel und Investorenschutz gibt es ja grundsätzlich bereits. Für Kritiker ist dieser status quo als solcher jedoch verfehlt: Statt den bereits vor Langem betretenen Pfad weiterzugehen sollte endlich umgekehrt oder wenigstens eine Abzweigung genommen werden. So gesehen gibt es kein richtiges TTIP im grundsätzlich falschen Wirtschaftssystem. Daher wird die dahingehende Kritik ungeachtet des finalen Ausgangs der Verhandlungen auch nicht verstummen.

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