Dienstag, 29. September 2015

Vom Reichtum

Seit mittlerweile gut einem Jahr sitze ich daran, Musils Mann ohne Eigenschaften fertig zu lesen. Allein deswegen, weil er neben dem Ulysses als einer der großen Romane gilt, den viele kennen, aber ihn höchstens zu Teilen und kaum komplett gelesen haben. In der Tat, es ist durchaus anstrengend, das Buch ist schwer (daher mittlerweile auf die Kindle-Version umgestiegen), stellenweise nicht enden wollend und, wenn man sich ehrlich ist, passiert eigentlich nicht viel. Unzählige Gespräche, Beschreibungen, Beobachtungen, Charakterisierungen von Menschentypen und einer Epoche beziehungsweise jener Zeit, die der gelernte Österreicher immer noch am Liebsten idealisiert: Das Österreich, genauer gesagt das Wien des fin de siècle. Aber dennoch, irgendwas hat der Roman dann doch für sich (umsonst schafft man es nicht in den Bildungskanon), immer wieder findet sich etwas, das sich als prophetisch deuten lässt, immer wieder wird man zum Nachdenken angeregt. So etwa unter anderem in Musils Beschreibungen zum Reichsein, das auch seine Schattenseiten hat.
Auch Henryk Broder hat unlängst einen Artikel zum Wohlstand geschrieben. Dazu, dass es heute eher verpönt ist, reich zu sein und Reichtum zu zeigen. Wer Geld hat, wird kritisch beäugt, muss irgendwie kriminell sein, hat vielleicht bloß geerbt oder ist ein Ausbeuter. Nein, die Guten sind selten bis gar nicht reich.
Was für Millionäre gilt, trifft auch auf Wohlstands-Gesellschaften zu. Hier hat sich etwa Peter Sloterdijk in seiner Schrift „Die nehmende Hand und die gebende Seite“ geäußert: Ihm zufolge geht die gesellschaftlich weit verbreitete Verurteilung von Wohlstand auf das Rousseausche Diktum von der konfliktfördernden Wirkung der Eigentumsbegründung. Das diesbezügliche Zitat ist ja allgemein bekannt:

 "Der erste, der ein Stück Land mit einem Zaun umgab und auf den Gedanken kam zu sagen »Dies gehört mir« und der Leute fand, die einfältig genug waren, ihm zu glauben, war der eigentliche Begründer der bürgerlichen Gesellschaft. Wie viele Verbrechen, Kriege, Morde, wieviel Elend und Schrecken wäre dem Menschengeschlecht erspart geblieben, wenn jemand die Pfähle ausgerissen und seinen Mitmenschen zugerufen hätte: »Hütet euch, dem Betrüger Glauben zu schenken; ihr seid verloren, wenn ihr vergesst, dass zwar die Früchte allen, aber die Erde niemandem gehört«."

 Die ursprüngliche Landnahme als Unrechtsakt lässt sich damit als Erbsünde moderner bürgerlicher Gesellschaften ansehen, die es früher oder später rückgängig zu machen gilt. Aus den daraus resultierenden Schuldgefühlen nehmen die Besteuerten auch stoisch die historisch unvergleichlich hohe Steuerlast hin. Jeder nachfolgende staatliche Handlung, die Errichtung der bürgerlichen Gesellschaft selbst, gründet auf Unrecht und ist insofern zu hinterfragen. Hier finden revolutionäre Ideen, allen voran der Marxismus und die Proudhornsche Losung vom Eigentum als Unrecht ihren Ursprung.

Ob und inwiefern unsere bürgerliche Gesellschaft tatsächlich so entstanden ist, weiß man nicht. Ebenso wenig muss man Rousseau entgegenhalten, dass Gesellschaften mit einem funktionierenden System des Eigentumsschutzes und der Eigentumsbegründung mehr Wohlstand schaffen. So etwa die Ausführungen Hernando de Soto in seinem aus dem Jahr 2002 stammenden Werk "Freiheit für das Kapital". Die FAZ von damals dazu:
Die Hauptursache für die Armut in der Welt lautet de Soto zufolge also nicht "zu wenig Geld", sondern "schlechtes Recht". Diese These stellt der Ökonom in den Zusammenhang der Globalisierungsdebatte. Er gibt den Globalisierungskritikern in vielen Punkten recht. "Außerhalb der westlichen Welt", schreibt er, "stößt der Kapitalismus auf wachsende Feindschaft; er ist ein Apartheid-System, das die meisten Menschen ausgrenzt." Die Ursache sieht er aber nicht in der Globalisierung selbst, sondern im Versagen, die "entscheidende Eigentumsfrage" in den Mittelpunkt zu stellen: In den Ländern der Dritten Welt profitieren nur wenige Privilegierte von der Globalisierung, weil die anderen keinen Zugang zum Rechtssystem haben, da es nicht gelungen ist, ihr Kapital zu "globalisieren".

Davon abgesehen; Reichtum ist kein Selbstzweck, er kann auch als Belastung aufgefasst werden, mit der nicht jeder umzugehen vermag und die belastet. Man denke nur an das Schicksal vieler Lottogewinner oder mit bombastischen Verträgen ausgestatteter Spitzensportler, die nach einigen Jahren wieder alles verjubelt haben und sich für bankrott erklären müssen. Zu viel Geld kann einem auch das Gefühl vermitteln, nicht über genügend Zeit zu verfügen, ihn entsprechend auszukosten und von den damit einhergehenden Möglichkeiten ausreichend Gebrauch zu machen. Ebenso kann jemand, der viel hat, auch viel verlieren und oft braucht der Sturz ins Unglück auch nur relativ gesehenen geringen Verlust. Man denke an die Selbstmorde so mancher Unternehmer und Investoren, die im Zuge der jüngsten Finanzkrise viel Geld verloren haben (so etwa Adolf Merckle. Die immer noch reich waren, nur eben weniger reich. Denen der relative Wohlstandsverlust zugesetzt hat. Ab einer gewissen Reichtumsstufe macht die nächste Million nicht mehr viel glücklicher, der Verlust einer Million dafür umso mehr.
Hinzu kommt, dass Reichtum die Wahrnehmung der Mitmenschen verzerrt. So wie man als westlich aussehender Tourist in so manchen Gegenden das Gefühl hat, für viele wie ein wandelnder Bankomat auszusehen, bleiben Reiche in hiesigen Breiten lieber unter sich; vielleicht auch, weil ihnen von Seiten vieler mit einem niedrigeren finanziellen Status Neid oder der Wunsch, doch ein wenig etwas für diese oder jene Unternehmung abzugeben, entgegenschwallt. Wer weiß, ob ein Lottogewinn sich letzten Endes sich nicht als Fluch herausstellt, wie viele Freunde einen in seinen Sorgen nicht mehr ernst nehmen oder zumindest Gedanken wie "wieso ist der so traurig, er hat doch so viel Geld" hegen würden. Weshalb unterschiedliche Wohlstandsniveaus Freundschaften oft – nicht immer – belasten und sogar verunmöglichen können. Am Ende des Tages messen Menschen ihr persönliches Glück in Relation zu Nachbarschaft, Arbeitskollegen und Freunden, nicht mit den Kim Kardashians dieser Welt.
Das letzte Wort, weil Ursprung für diese Zeilen, soll aber Musil mit seiner wunderbaren Beschreibung vom Geld als Bürde in seinem Mann ohne Eigenschaften und der Charakterisierung des wohlhabenden und sich intellektuell betätigenden Industriellen Arnheim:
Nur Leute, die kein Geld haben, stellen sich Reichtum wie einen Traum vor; Menschen, die ihn besitzen, beteuern dagegen bei jeder Gelegenheit, wo sie mit Leuten zusammentreffen, die ihn nicht besitzen, welche Unannehmlichkeit er bedeute.
Arnheim hatte zum Beispiel oft darüber nachgedacht, dass ihn doch eigentlich jeder technische oder kaufmännische Abteilungsleiter seines Hauses an besonderem Können beträchtlich übertreffe, und er musste es sich jedes Mal versichern, dass, von einem genügend hohen Standpunkt betrachtet, Gedanken, Wissen, Treue, Talent, Umsicht und dergleichen als Eigenschaften erscheinen, die man kaufen kann, weil sie in Hülle und Fülle vorhanden sind, wogegen die Fähigkeit, sich ihrer zu bedienen, Eigenschaften voraussetzt, welche nur die wenigen besitzen, die eben schon auf der Höhe geboren und aufgewachsen sind.
Eine andere, nicht geringere Schwierigkeit für reiche Leute ist die, dass alle Leute Geld von ihnen wollen. Geld spielt keine Rolle; das ist richtig, und einige tausend oder zehntausend Mark sind etwas, dessen Dasein oder Fehlen ein reicher Mann nicht empfindet. Reiche Leute versichern dann auch mit Vorliebe bei jeder Gelegenheit, dass das Geld am Werte eines Menschen nichts ändere; sie wollen damit sagen, dass sie auch ohne Geld so viel wert wären wie jetzt, und sind immer gekränkt, wenn ein anderer sie missversteht. Leider widerfährt ihnen das gerade im Verkehr mit geistvollen Menschen nicht selten. Solche besitzen merkwürdig oft kein Geld, sondern nur Pläne und Begabung, aber sie fühlen sich dadurch in ihrem Wert nicht gemindert, und nichts scheint ihnen näher zu liegen, als einen reichen Freund, für den das Geld keine Rolle spielt, zu bitten, dass er sie aus seinem Überfluss zu irgendeinem guten Zweck unterstütze. Sie begreifen nicht, dass der reiche Mann sie mit seinen Ideen unterstützen möchte, mit seinem Können und seiner persönlichen Anziehungskraft. Man bringt ihn auf diese Weise außerdem in einen Gegensatz zu der Natur des Geldes, denn diese will die Vermehrung genauso, wie die Natur des Tieres die Fortpflanzung anstrebt. Man kann Geld in schlechte Anlagen stecken, dann geht es auf dem Feld der Geldlehre zugrunde; man kann damit einen neuen Wagen kaufen, obgleich der alte noch so gut wie neu ist, in Begleitung seiner Polopferde in den teuersten Hotels der Weltkurorte absteigen, Renn- und Kunstpreise stiften oder für hundert Gäste an einem Abend so viel ausgeben, dass davon hundert Familien ein Jahr lang leben könnten: mit alledem wirft man das Geld wie ein Sämann zum Fenster hinaus, und es kommt vermehrt bei der Türe wieder herein. Es aber im Stillen für Zwecke und Menschen verschenken, die ihm nichts nützen, das lässt sich nur mit einem Meuchelmord am Geld vergleichen. Es kann sein, dass diese Zwecke gilt und diese Menschen unvergleichlich sind; dann soll man sie mit allen Mitteln fördern, nur nicht mit Geldmitteln.

Donnerstag, 10. September 2015

Libya and Operation Unified Protector 4 years on

More than four and a half years have passed since Security Council resolution 1973 and the subsequent NATO airstrikes (Operation Unified Protector) against Gaddafi's regime. Back then, the operation was called a success for having had only a minimal impact on the civilian population, the great level of cooperation and the decisive role of other NATO member states than the US and contributing to the overthrow of Gaddafi. Euphoria was everywhere, the Responsibility to Protect was "Alive and Well" (Thomas G Weiss) and an article in Foreign Affairs published in December 2012 described Libya as "one of the most successful countries to emerge from the uprisings that have rocked the Arab world over the past two years" (Dirk Vandewalle, 'After Qaddafi. The Surprising Success of the New Libya' 91 Foreign Affairs 8).
Obviously, academia and the international community have sobered up in recent years. Libya, one of the countries with the highest living standards (although far from being a paradise and controlled in a quasi-Stalinistic fashion by Gaddafi), is close to being a failed state (it is ranked #25 on the 2015 Fragile State Index), with two parallel governments competing for control, a crumbling health sector and a drastically deteriorating access to food. As Bernardino León, Special Representative of the Secretary-General
and Head of the United Nations Support Mission in Libya summarized the situation at a Security Council Meeting from late August 2015 (worthy to be quoted extensively):
Fifteen months since the start of military operations in Benghazi, in the east, it is clear that the confrontations between the parties have gradually transformed into a war of trenches, with no imminent end foreseen. In the interim, the status quo is exacting a heavy toll on the civilian population and on whatever remains of the city’s much-damaged infrastructure. More than 100,000 of Benghazi’s population remain internally displaced, and 70 per cent of the city’s health facilities are either inaccessible or not functioning.
The situation in the south is equally appalling. The absence of the State and of a proper functioning security apparatus has exacerbated local competition among tribal groups for power and resources — a conflict that has its roots in decades-long marginalization and neglect by central authorities. At the national level, the scale of human suffering is staggering for a country with large oil reserves and strong economic potential. According to different United Nations agencies, an estimated 1.9 million people require urgent humanitarian assistance to meet their basic health-care needs. Access to food is now a major problem for some 1.2 million people, mostly in Benghazi and the east. The number of internally displaced persons across Libya now stands at approximately 435,000. The health-care system is on the verge of collapse, with many hospitals across the country overcrowded and operating at severely reduced capacity, and many reporting acute shortages of medicines, vaccines and medical equipment. Power cuts are endemic in many areas of the country. Some neighbourhoods, such as in Benghazi, are enduring electricity cuts almost around the clock.
Close to 250,000 migrants are estimated to be in the country or transiting through it, many of them facing significant protection issues, including arbitrary arrest and detention in abusive conditions, sexual abuse, forced labour, exploitation and extortion. This year alone, more than 2,000 migrants have drowned in the Mediterranean Sea, the vast majority in a desperate bid to make the sea crossing from Libya to Europe’s southern shores.
At the same time, the country’s economy continues to contract rapidly, the result of a significant reduction in oil revenues due to falling oil prices and low oil production from Libya’s oilfields. Libya’s financial reserves are also being heavily depleted, in large part as the result of unsustainable expenditures on non-productive items. The political-institutional crisis in the country has also manifested itself in growing competition over key financial and other sovereign institutions.Against that grim backdrop of growing hardship and misery stemming from deteriorating security and general lawlessness, widespread violations and abuses of international human rights and humanitarian law continue with impunity across the country. Armed groups from all sides continue to abduct civilians on account of their political opinions or identity, often in the hope of exchanging them in return for a ransom or for the release of fighters or other civilians taken by rival groups. Not even humanitarian aid workers have been spared.

Preventing and/or ending gross human rights abuses were the primary motives behind the intervention in Libya. It was feared that Gaddafi's forces would continue to use excessive force not only against his military adversaries but also against the civilian population, in particular in Benghazi, which was explicitly mentioned in resolution 1973. Nevertheless, when deciding whether to intervene and how, long-term prospects also need to be taken into account. While it is absolutely unclear what Libya would look like absent a military intervention or if NATO had refrained from taking sides but rather eg established safe havens for civilians or to establish a ceasefire with a possible divide of the country until a political solution is found, one may doubt whether that happened. Rather, the motives behind intervening in Libya seem to be a mixture of having grasped the opportunity to get rid of a dictator who had been in charge for too long, committed too many grave mistakes (remember Lockerbie or the1986 Berlin discotheque bombing) and controlled one of the oil-richest countries in the world, addressing demands to "do something" in Libya, and perhaps build up a new allied state in the region.
In sum, the current situation clearly shows the extent of miscalculation or ignorance when it came to the political dynamics in tribal Libya. One may thus doubt whether Operation Unified Protector is still seen as a 'model intervention' and if the interveners would act differently today. Removing a dictator is comparatively easy, but the West's (and in particular the US') bad track record in establishing or at least contributing to a functioning, stable, and even democratic state has certainly not improved with the outcome of the intervention Libya.

Montag, 7. September 2015

Vom Gegenwartsfetisch

hic et nunc, hier und jetzt. Die Zeit, in der wir leben. Gestern ist vorbei und vergessen, überübermorgen wiederum fühlt sich fern an. Allenfalls morgen, das nächste Wochenende, vielleicht ein paar Monate, aber dann ist irgendwann mal wirklich Schluss mit dem Blick nach vorne. Gut essen gehen, auch mal gern eine Ausstellung, ins Theater, zu Lesungen und was der große Kunst-und Kulturmarkt nicht alles zu bieten hat beziehungsweise was es nicht allen an sonstigen Events mit vielen virtuell zugesicherten Teilnahmen so gibt. Veranstaltungsreihen, Lokale und Gallerien allerorts. Das alles freilich mit Stylingbewusstsein, anders und doch irgendwie  aussehen wie die eigene soziale Kohorte. Den dazugehörigen immateriellen wie materiellen Konsum natürlich entsprechend fotografisch festhalten und teilen. Von Instagram zu Insta-Life.

Schöne Fassaden, das wissen wir spätestens seit Adolf Loos, verdecken dahinterstehendes Elend. Noch heute erinnere ich mich das öffentliche Bild in Spanien zur Zeit meines Erasmussemesters – das kollektive europäische Verbundenheitserlebnis für Studenten in den frühen bis Mit-20ern – während die Eurokrise unter dem damaligen und mittlerweile wieder aus dem Kurzzeitgedächtnis der Medien verschwundenen Schlagwort von den PIIGS (Portugal, Irland, Italien, Griechenland und Spanien) ihren Höhepunkt erreicht hatte. Die Lokale dennoch oder eben gerade deswegen voller lachender Menschen, eine verwirrte Professorin selbst meinte zu Beginn einer jeden Stunde, die Leute nicht zu verstehen, kein Geld und dennoch dauernd am Ausgehen, no sorpresa, dass es einmal so kommen musste. Aber vielleicht ist genau dieses Verhalten weniger Hintergrund als logischste aller Reaktionen. Das Leben genießen, solange es geht, Ablenkung von unangenehmen Gedanken und Themen, im Idealfall gerade in Spanien beim Fussball, Ronaldo oder Messi, wer gewinnt das nächste Classico?

Auch in hiesigen Breiten verhält es sich seit geraumer Zeit nicht wesentlich anders. Bei vielen reicht die Planung allenfalls zum nächsten großen Urlaub, der muss schließlich möglichst weit weg stattfinden, in Europa ist ja sowieso alles überall gleich und homogenisiert, weswegen es hier nur wenig Abwechslung beziehungsweise Gelegenheiten zum Abschalten gibt. Dann kann man sich davon erzählen, wie ruhig und erfrischend anders, wenn auch weniger steril, das Leben in Thailand, Vietnam, Kambodscha oder Indien nicht abläuft, welch Erkenntnisse und Einsichten man am Strand von Goa nicht gesammelt hat.

Unser Umgang mit der Zeit scheint dominiert vom present-oriented hedonist, wie er vom durch das Stanford Prisoner-Experiment berühmt gewordenen Psychologen Philipp Zimbardo und seinem Kollegen John Boyd folgendermaßen beschrieben wurde:
Self indulgent, playful, enjoys all things that bring immediate pleasure and avoids those that involve much effort, work, planning, or unpleasantness. Lives to consume the good life and takes many different kinds of risks in part because he or she does not fully consider the realities of negative consequences and at the same time seeks stimulation and excitement.

Eigentlich ein glücklicher Ort, diese Gegenwart. Was in 5, 10, 20 Jahren passiert erscheint weit weg, dort warten ohnedies lediglich nicht-fotografierbare Probleme und Herausforderungen für die Zukunftsversionen von uns (Simpsons-Referenz gefällig? "That's a problem for future Homer. Man I don't envy that guy"). Dabei führen natürlich auch äußere Umstände zu Resignation oder als befreiend erlebter Unbekümmertheit und Jetztbezogenheit beziehungsweise, volkswirtschaftlich ausgedrückt, einer hohen Zeitpräferenzrate. Bevor das Geld auf der Bank liegt und an Wert verliert, wird es ausgegeben. Zumal ja niemand so genau weiß was kommt und es sich ohnedies nur in höchst beschränktem Maße beeinflussen lässt. Wird schon passen oder eben nicht. “Etwas aufbauen” (von der Eigentumswohnung über ein Unternehmen bis hin zum von der US-Film- und Serienindustrie ins kollektive Denken eingehämmerten Haus im Grünen mitsamt weißem Lattenzaun und Hund) ist ohnehin kaum möglich beziehungsweise nicht sonderlich attraktiv: Praktika und befristete Verträge, Stellenabbau, der jeden betreffen kann, mehr als ungewisse Pensionen, drohende Hyperinflation (die große Krise ist nicht gelöst, sondern lediglich verschoben), Staatsschuldenkrise, bedenklicher demographischer Wandel und eine enorme Steuerbelastung (durch Arbeit wird man nicht reich!). Allenfalls den bereits vorhandenen Wohlstand, mag er auch noch so klein sein, so weit wie möglich erhalten. Kinder bekommen wird verschoben, erscheint selbst bei 30-jährigen fern, bis viele es überhaupt lassen, noch dazu, wo man mittlerweile immer öfters liest, dass Nachkommen nicht wirklich glücklich machen. Wirkt alles obendrein ohnehin bieder und schränkt ja auch so furchtbar stark ein, da ist nichts mehr mit spontan wo vorbeischauen und ganz allgemein einfach tun wonach einem gerade die Sinne stehen.

Erwachsen werden ist am Ende des Tages weniger eine Frage des Alters denn der übernommenen Verantwortung und "Kinder kriegen" markiert in diesem Punkt den Endgegner. Also lieber die Jugend durch kollektives in-den-Tag-hinein-Leben verlängern, stiller Protest, der keiner ist. Diese Welt ist ohnehin für junge Leute gemacht (man lese etwa Houellebecq "die Möglichkeit einer Insel" oder höre Prinz Pi "Moderne Zeiten"), Kappen verdecken schütteres Haar, Sneakers sind bequemer als Anzugschuhe und im Sommer ist es viel zu heiß für Sakkos.

Man darf sich fragen, wie viele der heutigen – im juristischen Sinne – Erwachsenen beim Stanford Marshmallow Experiment lieber gleich einen essen als später zwei bekommen würden. Nach denen nicht einmal die Sintflut kommt, die ja aus der Bibel stammt, denn so richtig gläubig ist ist ja kaum noch wer – allenfalls zum (Tauf-)Schein, weil heiraten in einer Kirche doch als romantisch gilt. Womit sich auch die Sache mit dem Leben nach dem Tod erübrigt hat; spätestens dann ist dem Ablebenden selbst alles nicht einmal mehr egal. Um es mit Sartre zu sagen, der Mensch ist seine eigene Existenz. Mit Keynes "in the long run we're all dead". Oder mit der nicht mehr ganz so aktuellen Popkultur "in the end it doesn't even matter" (Linkin Park).

Donnerstag, 3. September 2015

Totes. Recht. Ausnahme.Zustand

Wir leben immer noch im Zeitalter des Rechtspositivismus und seiner Verabsolutierung der Gesetze. Es gilt, was geschrieben steht, selbst wenn es mittlerweile ausschließlich rein-virtuell abgerufen wird und keiner sicher sein kann, dass es irgendwo auch in klassisch-gedruckter Gesetzesform existiert. Aber Gesetze, Normen, Richtlinien, Verordnungen und wie man alle Befehle im Namen des Staates oder auch der EU nennen will, gelten nicht für sich. Sie gelten, weil die Rechtsunterworfenen sich daran halten und, in zweiter Instanz, indem man ihnen Geltung verschafft, sie also gegebenenfalls – also bei Verstößen – durchsetzt. Sie sind zwangsbewehrt, die Befolgung richtet sich nach der freien Entscheidung des einzelnen, sondern wird im Notfall per Zwang durchgesetzt: Am Ende stehen Pfändungen, Freiheits- und Geldstrafen.

Doch nicht alles, was formaljuristisch gilt, ist auch realiter Gesetz, vieles wird weder von den Rechtsunterworfenen noch von den Organen des Rechtsvollzugsapparats beachtet. Recht kommt auch als Todgeburt zur Welt oder stirbt nachträglich: Etwa, weil es als veraltet gilt, von Anfang an zu weit von der Realität entfernt war oder es an Ressourcen beziehungsweise behördlichem Willen fehlt; auch die Bürokratie hat keine Allmacht und muss sich den Gegebenheiten anpassen, Prioritäten setzen. Die Realität entflieht oftmals dem Recht und seinem Vollzug.

Hier hat der Ausnahmezustand eine tragende Rolle. Wenn der Staat sich innerhalb des rechtlichen Rahmens, der einen solchen ja vorsieht, offen eingesteht, eben jenen nicht mehr zur Gänze einhalten zu können; vor allem die nicht-notstandsfesten Menschenrechte wie etwa das Recht auf ein faires Verfahren, auf Achtung des Privat- und Familienlebens, die Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit, die Freiheit der Meinungsäußerung oder die Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit vorläufig zu ignorieren, um einer Gefährdung der gesamten Ordnung als solches zu begegnen. Spätestens dann merkt man, dass einmal Festgelegtes sich ändern kann, das kein Gesetz für sich alleine gilt und das Recht von heute das Unrecht von morgen sein kann. Dass Recht mehr ist als geschriebenes Wort und ein Mindestmaß an Gerechtigkeit, aber auch an Aussicht auf Umsetzbarkeit und dem Willen, es auch ohne der Drohung von Zwang einzuhalten.

Gerade die letzten Wochen geben vielen das Gefühl, in einer Zeit des Umbruchs zu leben. Vieles, was als gegeben und unumstößlich gilt, wird offen hinterfragt und niemand weiß, wie lange es noch gilt beziehungsweise gelten kann. Recht wird offen missachtet und gebrochen, von Teilen der Rechtsunterworfenen und mittlerweile auch vom Vollzugsapparat, der es nicht mehr auf die gesamte Bevölkerung, sämtliche Gebiete oder alle Situationen anwendet. Bleibt offen, ob deswegen neues Recht geschaffen wird oder bereits bestehendes, außerstaatliches beziehungsweise jedenfalls außerhalb des formaljuristischen Rahmens bestehendes Recht an seiner Stelle weiter fortbesteht.

Mittwoch, 2. September 2015

Liebe Parteien: auf der Suche nach Wählerstimmen?

Nichts einfacher als das, möchte man meinen. Die "verunsicherte Mitte" wartet auf euch. Fernab von Hetzern und anderen teilweise inflationär gebrauchten Schlagwörtern warten Menschen, die wissen wollen, wie man mit der Asylkrise langfristig umzugehen gedenkt, auf Antworten. Fernab von "Deutschland/Österreich schafft das schon" und ähnlichen Phrasen. Konkretes. Erfolgsmodelle. Auch auf die unangenehmen Aspekte eingehen, Gefahrenpotenziale identifizieren und auch benennen. Zum Lohn gibt es Stimmen, im Moment macht das nämlich... ja, richtig, niemand, keine Partei.

Donnerstag, 6. August 2015

The West's role in the rise of the Islamic State

two powerful essays on this delicate topic; to put it in most basic terms: The US (and its allies Saudi Arabia, Turkey and Quatar) supported "moderate" opposition groups in their quest to overthrow Assad and ultimately it turned out that many of those where not as moderate at as they had thought.

http://www.thenation.com/article/how-war-terror-created-worlds-most-powerful-terror-group/

http://www.theguardian.com/commentisfree/2015/jun/03/us-isis-syria-iraq

Mittwoch, 5. August 2015

If it's really the economy (, stupid), then Putin has been quite successful


"When Putin arrived in office, Russia was just emerging from the disastrous market reforms of the 1990s and the 1998 financial crisis. The new president had no grand economic vision: while he slashed taxes to benefit business, he also renationalised key sectors, starting with the breakup of political foe Mikhail Khodorkovsky’s Yukos oil company in 2003. Nonetheless, unused manufacturing capacity and rising prices for oil, Russia’s main export, helped usher in an era of unprecedented prosperity that Putin is still remembered for, with real disposable income doubling between 1999 and 2006."

http://www.theguardian.com/world/2015/may/06/vladimir-putin-15-ways-he-changed-russia-world

Montag, 3. August 2015

Turkey's legal justification for its recent attacks against the Kurds and ISIS/ISIL

first and foremost, the official notification by Turkey concerning its attacks against ISIS/ISIL in Syria can be found here: http://www.securitycouncilreport.org/atf/cf/%7B65BFCF9B-6D27-4E9C-8CD3-CF6E4FF96FF9%7D/s_2015_563.pdf 

Similar to the US and its allies, Turkey relies on the right to self-defence and, more specifically, the "unwilling or unable"-doctrine, as the legal basis for striking against ISIS/ISIL inside Syria. Most interestingly, however, the letter to the Security Council does not refer to the threat emanating from Kurdish fighters but only ISIS/ISIL (Daesh):
The terrorist attack that took the lives of 32 Turkish citizens in Suruç on 20 July 2015 reaffirms that Turkey is under a clear and imminent threat of continuing attack from Daesh. Most recently, on 23 July 2015, Daesh attacked the border military post in Elbeyli and killed a Turkish soldier.
It is apparent that the regime in Syria is neither capable of nor willing to prevent these threats emanating from its territory, which clearly imperil the security of Turkey and the safety of its nationals.
Individual and collective self-defence is our inherent right under international law, as reflected in Article 51 of the Charter of the United Nations.
On this basis, Turkey has initiated necessary and proportionate military actions against Daesh in Syria, including in coordination with individual members of the Global Coalition, in order to counter the terrorist threat and to safeguard its territory and citizens.

The legal basis for its military strikes against Iraq, then, is the consent given by the Iraqi government:
http://www.mfa.gov.tr/no_-220_-31-july-2015_-press-release-regarding-the-statement-of-the-iraqi-government-about-turkey_s-operations-towards-the-pkk-targets.en.mfa:

His Excellency called on the Turkish government to coordinate with the Iraqi government about any military operation in those areas, stressing Iraq's keenness on Turkey's internal security and its people's safety, praising the Turkish decision which allowed the use of its airbases by the international coalition to attack the terrorist Daesh organization. 

Regarding the attacks against Kurdish fighters located in Iraq, however, the Iraqi government has voiced harsh criticism which comes close to a (partial) withdrawal of its consent, or at least a threat of doing so, denouncing these as "a dangerous escalation and an assault on Iraqi sovereignty" and calling on Turkey to avoid further escalation and seek a resolution to the crisis.

As a reaction, Turkey has stated that Iraq was not fulfilling its duty to prevent any attacks/not to harbor such "terrorists". All in all, it seems as if Turkey is stretching the Iraqi acceptance to conduct attacks against ISIS/ISIL and the Kurds on its territory quite far; however, as long as Iraq does not expliticitly withdraw its consent, there is a legal basis for the Turkish attack:

[...] the negative attitude adopted by the Iraqi Government regarding the steps taken by Turkey within the framework of international of law towards the terrorist attacks faced by our country and the operations conducted by Turkey, in this context, against the PKK terrorist organization located within the borders of Iraq has caused disappointment.

Although the Iraqi Government emphasizes its commitment for not allowing any attack towards Turkey from the Iraqi territories, it is clear that this commitment has not been fulfilled and numerous armed PKK militants have continued to harbor in the Iraqi territory for years. Therefore it is not possible to comprehend or accept that those, who cannot fulfill their commitments, do not have the possibility to keep their borders under control, and one-third of whose territories are under the control of the terrorist organization, have taken a stance against Turkey in its fight against the PKK terrorist organization perpetrating armed attacks towards its citizens and security forces.
That being said, although there is indeed a (somewhat shaky) legal justification – in line with those which have been invoked by other states in attacking ISIS/ISIL in the past, the problem is that Turkey does not restrict its attacks against this group. It is obvious that the balance between striking against ISIS/ISIL and, simultaneously, against the Kurds, the most reliable allies of the West and the US in particular, will cause political and, relatedly, perhaps also legal problems in the near future. Until now, however, Iraq would only withdraw or expliticly restrict its consent for military strikes by Turkey if the US allows it to do so (which seems highly unlikely for the time being).

Here are also a few good articles on the Syria/Iraq/ISIS/ISIL/Kurds-quagmire:

http://www.bbc.com/news/world-middle-east-33747980 (scroll down for some helpful infographics)
http://foreignpolicy.com/2015/07/31/turkey-goes-to-war-syria-rebels/
http://www.independent.co.uk/news/world/middle-east/turkey-conflict-with-kurds-was-approving-air-strikes-against-the-pkk-americas-worst-error-in-the-middle-east-since-the-iraq-war-10417381.html
http://foreignpolicy.com/2015/07/29/whats-behind-turkeys-u-turn-on-the-islamic-state-kurds-syria/
http://foreignpolicy.com/2015/07/28/has-the-u-s-just-sold-out-the-kurds/
http://diepresse.com/home/politik/aussenpolitik/4785757/Analyse_Warum-Erdogan-die-PKK-angreift?_vl_backlink=%2Fhome%2Findex.do (in German)
http://www.reuters.com/article/2015/07/31/us-mideast-crisis-iraq-kurds-idUSKCN0Q52OH20150731

Mittwoch, 22. Juli 2015

In re Greece: the unresolved mystery of state bankruptcy

Among the many questions surrounding the Greek/Eurozone-fiasco, one that seems to be particularly delicate is that of when a State can be considered as bankrupt. Is Greece already bankrupt? If so, since when? If not, when would it finally be considered to be bankrupt?

A survey of the relevant materials shows that, in contrast to municipal law, international law does not have a clear answer as to when one has to speak of bankruptcy. The easiest definition, also to be found on wikipedia, holds that "Bankruptcy is a legal status of a person or other entity that cannot repay the debts it owes to creditors". 
In this sense, bankruptcy needs to be distinguished from Insolvency, the latter being present only once proceedings involving the debtor and his creditor(s) have been initiated.
In simplest terms, the common definition of bankruptcy can also be applied to the field of international law. As soon as a State cannot repay its debts, it can be considered as bankrupt. However, things are more difficult upon closer inspection. The entry in the Max Planck Encyclopedia of International Law (written by Jörn Axel Kämmerer) for instance does not contain a clear definition of bankruptcy on the international level but rather shows that it is not settled whether and to what extent the above-mentioned definition can also be applied to sovereign states:

Mere unwillingness, also called ‘opportunistic default’ (...) must therefore always be considered a breach of obligations and, where the creditor is a State, of international law in particular, allowing for countermeasures (...). Whether inability to pay merits a different judgment depends on whether the debtor State can rely on the state of necessity objection (...). Even in the event that such an objection is unsubstantiated, countermeasures would hardly be of any avail and an agreed solution would have to be found in the common interest of both the debtor and its creditors. Whether the State must be incapable of servicing a certain number of financial duties or whether default in just one of them can suffice (as it implies that any obligation in kind might be affected), is an open question (...). It must be borne in mind that even failure to comply with financial obligations attached to State bonds can trigger a large-scale default where ‘cross-default clauses’ apply: other financial obligations are prematurely due in this event, and the State debtor might face majority actions of creditors (...). Likewise, it is unclear if a State can be considered bankrupt as long as its financial means will theoretically suffice for comprehensive debt service in case the latter will probably lead to social instability, as all kinds of service to its own population would have to be cut down. To public international law, a financial crisis matters—and may therefore qualify as ‘bankruptcy’—whenever the concerned State cannot escape from it by its own effort.
At the end of the day, however, as Kämmerer himself (who wrote the MPEPIL-entry just quoted) emphasizes in an article written in German (Der Staatsbankrott aus völkerrechtlicher Sicht (2005) 65 ZaöRV 651), it is necessary to restrict the scope of the concept of bankruptcy to the inability to repay debts, not also to situations when the State is merely unwillinng to do so. Also, as the example of Argentina in summer 2014 has shown, there is no such as thing as "partial default".
What remains is the often heard (especially in international law) and obviously not really helpful simple observation that instances of state bankruptcy/insolvency will continue to be dealt with on a case-by-case basis, with no clear and general rules in place.
If Greece keeps getting loans from the international financial institutions or fellow Eurozone members, it remains able to repay its debts and thus, technically speaking, cannot be considered as being bankrupt. While it may be deemed as de facto bankrupt for quite some time now, de iure it remains solvent.
This is also where politics preside over law. Germany and the other creditors still follow a policy that seems to be based on the assumption that Greece will – sooner or later – repay its entire debt. Hence the continued rejection of the possibility of a haircut. Behind closed doors, however, it may well be that they have accepted that a lot of money has been lost for good. However, the earlier this is openly admitted, the weaker the leverage to impose any meaningful reforms. If these are indeed as short-sighted as many point out, one may wonder whether the creditors are currently simply trying to squeeze as much money as possible out of Greece in full awareness that their policy is probably not tenable for much longer, i.e. until the final boiling point is reached – whenenver that will be the case.

Montag, 20. Juli 2015

The Act of Killing – the banality of evil redux

Wanna see something disturbing? The dark side of man? One of the many forerunners of the Islamic State? Well, then I can recommend Joshua Oppenheimer's "The Act of Killing" (Trailer here).
The plot is easily explained: after the 1965 military coup in Indonesia, the government launches an anti-Communist campaign that leads to death of approximately 500 000 – 1 000 000 people. Death squads, paramilitaries, members of the middle class or thugs of all types engage in the killing of Union members, political activists, or Chinese (China was still a communist country and yet had to start to embrace Capitalism; Mao's "Great Leap Forward" had ended over for only 4 yours earlier – making every Chinese person suspicious).

The killers boast openly of their crimes, explain in detail how they killed and tortured their victims, and how they were inspired by Hollywood movies. The movie is loaded with grotesque and surreal scences, from the main Character, Anwar Congo, dressed as a Cowboy in the middle of the Indonesian jungle with an Elephant in the background, to the then-Vice president of Indonesia participating in reenacting the killing and burning of an allegedly Communist village, one of the other killers joyfully and sadistically pretending to stick the liver and penis of Anwar Congo, who is beheaded but yet conscious, into his mouth, another killer talking about the rape of 14 year olds, and another talking about how "they" shoved wood into the anus of a victim until he died. No, the Islamic state's horrendous crimes are nothing new, they only get more attention by the media in times of Web 2.0.
Given the impact this movie has on many viewers, I could not help but write down a few thoughts and observations in coping with it.

First, it is entirely surreal. It not only shows the largely successfuly denial of guilt on the side of the perpetrators, but also the "official" Indonesian attitude towards these dark times; most forcefully, the killers were invited to a talks show that reminds one of the movie Idiocracy. Stating that his methods of killing were inspired by American gangster movies, the moderator reacts by showing how "amazing" that was and called on the audience (members of the Pancasila youth, an Indonesian paramilitary group) to applaud. Upon asking whether he feared revenge, he replies that they are unable to do so, because they'd be wiped out, while another one adds that all of them would be exterminated, leading to even louder cheers. No, this wasn't part of a movie in the movie. This was real.

Second, it is somewhat a reversal of Hannah Arendt's thesis of the banality of evil. At the same time, it's also somewhat of a confirmation. Let's say it's confusing, really confusing. Anwar Congo is a loving grandfather in his mid-70s who tells his grandchildren to take care of a wounded duck in one scene. Yet, when talking about the killings without feeling guilt (rather, he seems to fear that his victims could come after him sooner or later, i.e. after his death) and reenacting how he strangled them with a wire or how he stabbed a 1-year old in front of its mother (poor teddy bear), one can see that these are not wicked fantasies taken out of horror movies but things that actually happened. Brutality and the thin layer of civilisation; ruthless killer and father/grandfather – the regular guy a Westerner could meet at any Indonesian bar. While Eichmann's crimes could be explained (although, obviously somewhat incorrect as it later turned out that Eichmann was indeed a devoted antisemite) by portraying him as a weak bureaucrat looking at numbers instead of real people (remember that Adolf Hitler himself most likely never killed anyone personally), Congo killed hundreds of people with his own hands. Interestingly enough, a common feature of mass killings and genocidal campaigns – de-humanization, i.e. speaking of "cockroaches, rats, or other commonly despised animals  – was not mentioned and it seems as if being a Communist was sufficient to justify their violent acts. Here we find one of the main strengths of pictures, documentaries and all types of personal narratives: They show that victims are more than numbers or names: As Stalin supposedly put it: "The death of one man is a tragedy, the death of millions is a statistic"; a truism in the sense that numbers do not appeal to emotions, personal stories do. And this is what makes the Act of Killing so special as it dares to portray the perpetrators and thus the dark side of man, actions making us worry about how thin the layer of civilization is and what the majority of us is theoretically capable of.

In so doing, we find a common theme in the history of violence: Perpetrators almost always think that they act for a noble cause or at least find ways to justify their killings as serving a necessary purpose. They do not think of themselves as evil, not at all, but the opposite. In this case, the enemies were communists who wanted to ban American movies from the cinemas.  "The Act of Killing" for instance shows how a state-produced movie from back then portraying Communists as super-evil villains that showed no mercy, part of a manipulation machine that led to an extreme anti-Communist bias allegedly still present in Indonesian society until this very day and standing in the way of coming to terms with history.
To quote Roy Baumeister (Evil: Inside Human Violence and Cruelty, Owl Books 1999, p. 18), who coined the well-known "Myth of Pure Evil", whose theoretical observations seem largely confirmed by the attitude of the main characters throughout the movie:
When trying to understand evil, one is always asking, “How could they do such a horrible thing?” But the horror is usually being measured in the victim’s terms. To the perpetrator, it is often a small thing. As we saw earlier, perpetrators generally have less emotion about their acts than do victims. It is impossible to submit to rape, pillage, impoverishment, or possible murder without strong emotional reactions, but it is quite possible to perform those crimes without emotion. In fact, it makes it easier in many ways.

Lastly, and not necessarily closely connected to the main topic of the movie, the Act of Killing also shows democracy gone really, really wrong. One of the killers, Herman, tries to run for a political position by halheartedly chanting slogans out of a small car while driving through the streets and taking absurd pictures of posing as a leader/statesman. His motivation, as he makes clear, is that as a politician, he could make tons of money simply by telling people that e.g. their house is a bit higher than officially allowed. Doing some basic math on how he could squeeze a bit of money out of many people, his eyes start to glow when fantasizing about the large sums he could make by bribery. After all, he does not get elected, arguably because he shows up in the various neighborhoods without presents, telling people he would come with presents once elected. All those who wonder about the openness people call for "bonus" (i.e. small gifts) as a motivation to vote in a sense should not forget that "Western" democracies are not entirely different – except that they promise gifts such as "higher pensions/more family allowances/more jobs – gifts the electorate usually never receives.

Addendum: Concerning the few parts were law/international law is mentioned, the moviemakers comitted some avoidable mistakes in the scene were they questionone of the perpetrators, namely Adi Zulkadr, about the possibility of facing a trial because of his crimes. For one, the Geneva Conventions provisions on war crimes ("grave breaches") would technically speaking not be applicable in the sense as asked by the interviewer since there was no armed conflict at all in Indonesia in 1965-66, and certainly not an international one. Also, he would never have to appear at the Internatioal Criminal Court (ICC) since Indonesia (a) has not joined the ICC (yet) and (b) even if it eventually becomes a State Party some day, its jurisdiction would only cover events that took place after its ratification.

Mittwoch, 8. Juli 2015

A few words on Greece

In re Griechenland/Greece: [English version below]
— Niemand wurde/wird gezwungen, Griechenland Geld zu borgen. Schuldschaft ist ein dialektisches Verhältnis (vgl. David Graeber, Debt: The First 5000 Years), in dem auch der Gläubiger Verantwortung trägt. Das scheint inmitten der (berechtigten) Kritik an der desaströsen Wirtschafts- und Finanzpolitik der griechischen Regierungen der letzten Jahrzehnte doch unterzugehen.
— Immer wieder lese ich, Griechenland hätte sich "in die Eurozone geschummelt". ‪#‎iduntbelieveit‬, ich wage vielmehr zu behaupten, dass die damaligen Akteure über die tatsächliche wirtschaftliche Situation in Griechenland Bescheid wussten. Aber der Euro war nunmal von Anfang an ein politisches Projekt, da war wenig Platz für rational-ökonomische Bedenken und man wollte Griechenland eben um jeden Preis drinhaben (vgl. den Aufruf von 155 Ökonomen von 1998: Die jetzigen Probleme sind so unerwartet nicht, siehe http://www.berliner-zeitung.de/…/-der-euro-kommt-zu-frueh-,…).
—————
In re Greece:
— No one was/is forced to lend Greece any money. Debt is dialectic (cf David Graeber, Debt: The First 5000 Years), the creditor is not free of responsibility. This simple fact seems to be largely ignored amidst the (reasonable) criticism on the desastrous enonomic policies of the Greek governments in the last decades.
— Again and again, I read that Greece cheated itself into the Eurozone. Iduntbelieveit. I dare to state that everyone in charge knew about the real economic situation in Greece. At the end of the day, the Euro was a political project from the very beginning, leaving little room for economic considerations. Greek was to be included at all cost.

Dienstag, 7. Juli 2015

zum Völkerrechtssubjekt "Deutsches Reich"

Derzeit kursiert online (unter anderem aufgrund eines von Anonymous geposteten Statusupdates dazu, siehe https://www.facebook.com/Anonymous.Kollektiv/posts/934174103295717:0) ein wenig Aufregung hinsichtlich der Völkerrechtssubjektivität des deutschen Reichs; Grund ist eine Anfrage der Linken, man lese selbst:

Völkerrechtssubjekt "Deutsches Reich"

Auswärtiges/Antwort - 30.06.2015

Berlin: (hib/AHE) Das Bundesverfassungsgericht hat in ständiger Rechtsprechung festgestellt, dass das Völkerrechtssubjekt "Deutsches Reich" nicht untergegangen und die Bundesrepublik Deutschland nicht sein Rechtsnachfolger, sondern mit ihm als Völkerrechtssubjekt identisch ist. Darauf verweist die Bundesregierung in ihrer Antwort (18/5178) auf eine Kleine Anfrage der Fraktion Die Linke zum Potsdamer Abkommen von 1945 (18/5033). Die Abgeordneten hatten sich unter anderem nach der "These von der Fortexistenz des Deutschen Reiches" erkundigt und gefragt, ob die Bundesregierung diese als öffentlich als unhaltbar zurückweisen werde, "damit diese Behauptung nicht von Neonazis und der so genannten Reichsbürgerbewegung für ihren Gebietsrevisionismus gegenüber den EU-Nachbarländern instrumentalisiert werden kann". 
https://www.bundestag.de/presse/hib/2015_06/-/380964
http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/18/051/1805178.pdf
http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/18/050/1805033.pdf

 Einmal mehr wird eine alte und eigentlich lediglich (rechts-)historische völkerrechtliche Debatte aus politischen Gründen neu aufgewärmt. Die Frage des Untergangs des Deutschen Reichs stellte sich schließlich unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg und der Übernahme der Regierungsgewalt (in der Berliner Erklärung) durch die vier Siegermächte, das Ende der Besatzung und die Teilung Deutschlands. Der später von der DDR vertretenen Debellationstheorie zufolge war Deutschland nach der Kapitulation beziehungsweise spätestens aufgrund der Berliner Erklärung, untergegangen. Andere vertraten die Ansicht, dass Deutschland in zwei neue Staaten zerfallen (Dismembration) und daher untergegangen war.
Die BRD (und anfangs auch die DDR) vertrat jedenfalls stets jeweils die Ansicht, dass Deutschland als Völkerrechtssubjekt weiter fortbestand (für Näheres vgl etwa Kay Hailbronner/Marcel Kau, 'Der Staat und der Einzelne als Völkerrechtssubjekte' in: Wolfgang Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht (5. Auflage, de Gruyter 2010),147, 222).
Aus der damaligen, also zeitnahen Lehre seien an dieser Stelle ein Beitrag von Hans Kelsen ('Is a Peace Treaty with Germany legally possible and politically desirable?' (1947) 41/6 The American Political Science Review 1188), in dem er den Untergang des Deutschen Reichs postulierte, und zwei in die Gegenrichtung argumentierende Artikel aus dem Jahr 1951 hier ausführlicher zitiert.

 By its complete defeat, the surrender of its armed force, and the abolishment
of its national government, Germany has ceased to exist as a sovereign
state and subject of international law.' By the Declaration of Berlin,
June 5, 1945, the four Powers occupying the country-the United States
of America, the United Kingdom, the Soviet Union, and the French
Republic assumed "supreme authority with respect to Germany including
all powers possessed by the German Government, the High Command,
and any state, municipal, or local government or authority." This meant
that the four occupant Powers have assumed sovereignty over the former
German territory and its population, though the term "sovereignty" was
not used in the text of the Declaration. The four occupant Powers exercise
their joint sovereignty through the Control Council, established at Berlin
as the legitimate successor of the last national government of Germany.
All this is in complete conformity with general international law, which
authorizes a victorious state, after so-called debellatio of its opponent, to
establish its own sovereignty over the territory and population of the subjugated state. Debellatioim pliesa utomatict ermination of the state of war. Hence, a peace treaty with Germany is legally not possible. [...]
According to international law, a community is a state if, and as long as, a certain  population is living on a definite territory under an independent government. If one of these three essential elementsof a state in the sense of international law is missing, the state as a subject of international law disappears, or, in other words, the community ceases to exist as a sovereign state. No state can exercise the sovereignty of another state. State sovereignty does not permit representation or substitution.


Vor allem der letzte Absatz, demzufolge ein Staat untergeht, wenn eines der drei Elemente (Staatsgebiet, Staatsvolk, Staatsgewalt) verlorengeht, ist aus heutiger Sicht so nicht mehr haltbar; sogenannte failed states etwa, also Staaten ohne effektiver Zentralgewalt, existieren völkerrechtlich weiter fort.

Gegen Kelsens These vom Untergang Deutschlands im völkerrechtlichen Sinne wandte sich Alfred Verdross, ein Schüler Kelsens (und Professor an der Universität Wien), der die Debellationstheorie mit den folgenden Worten entkräftete:
Außer Streit steht aber auch, daß die Siegermächte Deutschland n i c h t endgültig aufgeteilt und n i c h t ihren Staatsgebieten einverleibt, sondern wiederholt ihren Willen zum Ausdruck gebracht haben, in einem späteren Zeitpunkt mit Deutschland einen Friedensvertrag abzuschließen und die deutsche Souveränität wieder herzustellen.
Aus diesem scheinbaren Widerspruch zwischen der Übernahme der
obersten Gewalt durch die Siegermächte einerseits und der Ablehnung
der Annexion des deutschen Gebietes durch dieselben Mächte andererseits
entzünden sich die gegensätzlichen Theorien. Die eine stützt sich
auf das erstgenannte Faktum und behauptet, daß das Völkerrechtssubjekt
"Deutsches Reich" durch D e b e l l a t i o n untergegangen sei. Darunter
versteht man in der Regel die vollständige Vernichtung der Staatsgewalt
des besiegten Staates, welche nach der herrschenden Lehre den
Staatsuntergang bewirkt. Dabei wird aber vor allem übersehen, daß
Deutschland gar nicht debelliert wurde, wenn man darunter die v o l l s t ä n d i g e   Zerstörung der Staatsgewalt des besetzten Staates versteht.
Vielmehr haben a l l e l o k a l e n O r g a n e (Gerichts- und Verwaltungsbehörden) ununterbrochen nach deutschem Recht weiterfunktioniert. Gewiß wurden diese Organe der Befehlsgewalt der Okkupationsmächte unterstellt und angewiesen, teilweise auch neue, von diesen Mächten erlassene Anordnungen anzuwenden. Das ist aber bei j e d e r
kriegerischen Okkupation der Fall, da diese ja w e s e n s m ä ß i g darin
besteht, daß die Organisation des besetzten Staates gleichsam enthauptet
und unter die Befehlsgewalt des Okkupanten gestellt wird (Art. 43 der
Haager Landkriegsordnung). Dadurch wird aber die Behauptung von
Kunz, daß ein Staat nicht nur untere Organe haben könne, widerlegt.
Gewiß ist das normalerweise nicht der Fall. Bei einer vollständigen
„occupatio bellica", wird aber immer die souveräne Gewalt des besetzten
Staates durch die Gewalt des Okkupanten vorübergehend ausgeschaltet.
Das bedeutet aber 'keineswegs, daß der Okkupant die souveräne Gewalt des besetzten Staates ausübt, sondern er übt im besetzten Gebiete seine
e i g e n e Gewalt aus. Diese zerstört aber nicht die Staatsgewalt des
besetzten Staates, sondern sie schaltet nur ihre oberste Schicht vorübergehend
aus. Daher kann man sagen, daß die souveräne Gewalt des besetzten
Staates für die Dauer der Besetzung r u h t , mit der Aufhebung
der kriegerischen Besetzung aber a u t o m a t i s c h wieder auflebt.
Selbst wenn man aber annimmt, daß Deutschland debelliert wurde, so
wäre damit nichts für die Untergangstheorie gewonnen, da es keine
Völkerrechtsnorm gibt, welche an die Zerstörung der Staatsgewalt die
Rechtsfolge des Unterganges des Staates knüpft. Der Begriff „debellatio"
ist nur ein Sammelbegriff der Rechtswissenschaft und kein Tatbestand
des Völkerrechts. Aus diesem Begriffe können daher k e i n e r l e i rechtliche
Folgerungen gezogen werden. Nur tatsächlich bewirkt eine Debellation
normalerweise den Untergang des debellierten Staates, da der
Debellation n o r m a l e r w e i s e die Annexion nachfolgt.
Geht man der Debellationstheorie auf den Grund, so zeigt es sich,
daß sie von der Auffassung ausgeht, ein Staat im Sinne des Völkerrechts
erschöpfe sich in seiner O r g a n i s a t i o n , da man nur von dieser
Voraussetzung aus behaupten kann, ein Staat gehe mit der Zerstörung
seiner Organisation unter.
Diese Voraussetzung steht aber mit dem positiven Völkerrecht in
Widerspruch, da nach der ständigen Staatenpraxis keine Revolution und
kein Staatsstreich die völkerrechtliche Identität eines Staates aufheben
kann. Nur vom Standpunkt des innerstaatlichen Rechts kann man sagen,
daß ein Staat mit seiner Organisation steht und fällt. Vom Standpunkte
des Völkerrechts hingegen überlebt ein Staat a l l e A r t e n der Zerstörung
seiner Organisation.
Er bleibt völkerrechtlich solange als dasselbe Rechtssubjekt erhalten, als
das Staatsvolk keinem anderen Staate dauernd einverleibt wird. Das zeigt
uns aber, daß nicht der Staat a l s  O r g a n i s a t i o n die Völkerrechtssubjektivität besitzt, sondern das zur Staatsreife gelangte und als Staat anerkannte S t a a t s v o l k. Daher haftet das Staatsvolk völkerrechtlich weiter, auch wenn die schuldigen Staatsorgane längst gestorben sind oder wenn die alte Staatsorganisation einer neuen Platz gemacht hat. Diesen Grundsatz faßt Bynkershoek in die berühmten Worte zusammen: „Forma autem regiminis mutata, non mutatur ipse populus. Eadem utique Republica est, quamvis nunc hoc, nunc alio modo regatur".
[...]

Ein Staat bleibt aber auch dann völkerrechtlich erhalten, wenn er vorübergehend
überhaupt keine Zentralregierung besitzt, wie im Schiedsspruche
vom 3. Juni 1937 im Falle G. W. Hopkins näher dargelegt wurde.
Schließlich verliert ein Staat seine Völkerrechtssubjektivität selbst dann
nicht, wenn er im Zuge eines Krieges vollständig besetzt und dem Okkupanten       staatsrechtlich einverleibt wird, da eine solche Einverleibung
völkerrechtlich unwirksam ist. Das beweist uns aber auch, daß das
Prinzip der Effektivität kein absolutes Prinzip des Völkerrechts ist, sondern
nur in jenem Rahmen gilt, den ihm das Völkerrecht anweist. Dieses
anerkennt aber nur einen e n d g ü 1 t i g e n , d. h. mit Aussicht auf
Dauer ausgestatteten, nicht einen bloß vorübergehenden Zustand als einen
rechtsbegründenden Tatbestand, so daß die Rechtsfolge des Gebietserwerbes
niemals die Folge der bloßen Effektivität, sondern erst die
Rechtsfolge der E n d g ü 1 t i g k e i t eines Herrschaftszustandes bildet.
Der Grundsatz „ex injuria jus non oritur" wird somit von keiner Ausnahme
durchbrochen.
Aus diesen Ausführungen ergibt sich, daß die Völkerrechtssubjektivität
eines Staates weder durch innere Gewaltakte, noch durch eine fremde
Okkupation mit Annexionsabsicht, sondern nur durch eine d a u e r -
h a f t e Annexion des ganzen Staatsgebietes durch einen oder mehrere
Staaten vernichtet werden kann. Diese kann natürlich auch in der
Form vor sich gehen, daß die Siegermächte das Territorium des besiegten
Staates in ein ihnen gemeinsam gehörendes Staatengemeinschaftsgebiet
umwandeln. Insoweit ist Kelsen vollkommen im Recht. Dazu genügt
aber nicht, daß sie eine gemeine Herrschaft, also ein c o i m p e r i u m
begründen, sondern sie müssen ein c o n d o m i n i u m in der Weise
schaffen, daß sie sich das in Rede stehende Gebiet endgültig aneignen.
Dazu gehört aber außer dem „corpus" auch der „a n i m u s t e r r i -
t o r i u m s i b i h a b e n d i". Sie müssen also auch die Absicht haben,
das Territorium gemeinsam für sich zu behalten oder gegebenenfalls
später untereinander aufzuteilen. Das war aber 1945 zweifellos nicht der
Fall, da die Siegermächte einen solchen Willen niemals zum Ausdruck
gebracht, sondern von allem Anfang an die Wiederherstellung der deutschen Souveränität in Aussicht genommen haben. Daher ist das deutsche Territorium weder ein „condominium" der Okkupationsmächte, noch auch ein „territorium nullius" geworden.
Es liegt vielmehr eine o c c u p a t i o b e l l i c a vor, welche die Einstellung der Feindseligkeiten überdauert hat und bis zum Abschlusse eines Friedensvertrages andauern wird.
Diese Okkupation wird aber dadurch qualifiziert, daß das deutsche
Territorium vollständig besetzt und daher vollkommen der Gewalt der
Siegermächte unterworfen wurde. Außerdem bestand keine deutsche
Exilregierung, so daß nirgends mehr eine souveräne deutsche Staatsgewalt
vorhanden war.
Aus dieser unbestreitbaren Tatsache zieht die Debellationstheorie den
Schluß, daß das Völkerrechtssubjekt „Deutsches Reich" untergegangen
sei, da ein Staat im Sinne des Völkerrechts eine souveräne Rechtsgemeinschaft sei, weshalb ein Staat ohne Souveränität nicht bestehen könne.
Dieser Einwand ist sehr ernst. Er ist aber doch nicht durchschlagend,
wenn man einmal erkannt hat, daß nicht die Staatsorganisation, sondern
das als Staat anerkannte V o l k das Völkerrechtssubjekt bildet, wie früher
nachgewiesen wurde. [...] Schließlich müssen wir noch darauf hinweisen, daß die Untergangstheorie auch deshalb unhaltbar ist, da sie die Bildung der westdeutschen Regierung und die von ihr gesetzten Akte nur als eine von den Okkupationsmächten d e l e g i e r t e Gewalt konstruieren kann, was zur Folge hätte, daß die delegierte Gewalt zur delegierenden Gewalt in Widerspruch geraten und mit ihr über den Abschluß eines Friedensvertrages verhandeln könnte. Die Siegermächte würden also gleichsam mit sich selbst kontrahieren! In Wahrheit aber bildet die westdeutsche Regierung eine aus Wahlen hervorgegangene, autonome deutsche Regierung, wenngleich sie sich nur in dem sich schrittweise erweiternden Rahmen bewegen kann, den die Okkupationsmächte gezogen haben und obgleich sie nur in einem Teile Deutschlands eine effektive Gewalt ausübt. Eine
solche autonome Regierung setzt aber die Existenz eines deutschen
Völkerrechtssubjektes bereits voraus, in dessen Namen sie auftritt. Das
ist auch die Überzeugung aller beteiligten Staatsmänner, die keine noch
so geistvolle „Theorie" übersehen sollte.
 Alfred Verdross, Die völkerrechtliche Stellung Deutschlands von 1945 bis zur Bildung der westdeutschen Regierung (1951) 3 Archiv des Völkerrechts 129 [Fußnoten entfernt]

Ein anderer lesenswerter Beitrag aus dieser Zeit stammt von Kurt von Laun, einem damals in Hamburg tätigen deutschen Rechtsanwalt, der ebenfalls die Debellationsthese zurückwies und den völkerrechtlichen Fortbestand des Deutschen Reichs vertrat:

Sovereignty is embodied in the nation. The German nation still lives and is organized within a territory. It has not merged in another state voluntarily, but has maintained the will to form a state. Consequently the opinion that Germany has ceased to exist as a state can only be based on the assumption that she has been annexed. From the point of view of law, not military conquest but the declaration of the annexation is decisive. Otherwise a state continues to exist, as it can be proved by many cases of complete occupation of foreign states where the annexation was not declared. But an annexation does not exist. The German armed forces were annihilated. The debellatio was effected. The Allied Powers, however, in their declaration regarding the defeat of Germany of June 5, 1945, 6 p.m., declared: "The assumption, for the purposes stated above, of the said authority and powers, does not effect the annexation of Germany."  On the contrary, the above declaration was affirmed by the British liaison staff with the Zonenbeirat and by various international agreements and official statements showing that the Allied Powers recognize the continu- ance of the German state. Proclamation No. 1 of the Control Council of August 30, 1945, speaks of "Germany as a whole," and Proclamation No. 2 of the "German state" and "Germany." Minister McNeil de- clared in the British House of Commons on Nov. 5, 1945: "Germany has not ceased to exist as a state." At about the same time the Foreign Office confirmed this by the statement: "Germany still exists as a state and Ger- man nationality as a nationality." In accordance herewith also the parties to the ERP treaty assume that Germany still exists. For it states in Article 1, par. 3, that all assistance furnished pursuant to the agreement "'shall constitute a claim against Germany." The aid shall constitute a claim not against the Bizonal area but against Germany, although accord- ing to Article 1, the help is furnished to the US/UK occupied area. Thus, at their annual meeting in Hamburg in April, 1947, the German university teachers of international law unanimously accepted a resolu- tion proposed by Rudolf Laun, stating that Germany continued to exist as a state in the sense of general international law. This seems to us to be also the prevailing opinion abroad. [...] The (Eastern) Deutsche Demokratische Republik is evidently of the same opinion that Germany still exists. Article 1 of its Constitution states that Germany is an indivisible republic. According to Article 1, par. 4, there is-as well as in the West-only one German nationality. The Con- trol Council is still recognized. All Western laws violating the agreements between the four Occupation Powers are considered to be null and void, among others, the Basic Law and the Occupation Statute. We may therefore assume that Germany continues to exist at the present time and is a subject of international law. She can therefore have rights and duties under it. We may furthermore assume that the Bundesrepublik Deutschland as well as the Deutsche Demokratische Repub lik are both administrative and partly self-governing units as the Bizonal Area has been. Though they are not recognized generally, the governments of both republics may be regarded as de facto governments.

Kurt von Laun, 'The Legal Status of Germany' (1951) The American Journal of International Law 267, 268-272 [footnotes omitted]


Fazit: Die Sache ist weniger spektakulär, als man im ersten Moment meinen möchte. Regierungs- wie auch Systemwechsel führen im Allgemeinen nicht zur Entstehung eines neuen Völkerrechtssubjekts. Im Falle Deutschlands ist die Sache politisch brisanter und aufgrund der Nachkriegszeit auch komplexer, aber letzten Endes gilt es aus formaljuristischer Sicht zwischen Völkerrechtssubjektivität und dem politischen System eben zu trennen. Mit anderen Worten: Das nationalsozialistische Deutschland ist schon lange untergegangen, das (ältere) Völkerrechtssubjekt Deutschland nicht.

Freitag, 3. Juli 2015

Die unrühmlichen Wurzeln des Schwarzfahrens

disturbing fact of the day? Wie wäre es damit, eventuell eine Möglichkeit, die strafrechtliche Ahndung von Schwarzfahren, also die "Erschleichung der Beförderung durch ein Verkehrsmittel",  als unmoralisch darzustellen. In Deutschland wurde dieser Tatbestand schließlich durch die Nationalsozialisten eingeführt. Zweifelsohne, Bestrebungen in die Richtung hatte es schon zuvor (1927) in der Weimarer Republik gegeben, aber umgesetzt hat es dann erst die NSDAP:
"Das Gesetz führte in § 265a die Strafbarkeit der mißbräuchlichen Benutzung eines Münzfernsprechautomaten sowie des sog. Schwarzfahrens ein und schloß damit Strafbarkeitslücken, die durch die Rechtsprechung entstanden waren. Es folgte damit dem Entwurf 1927."

Hans-Ludwig Schreiber, 'Die Strafgesetzgebung im >>Dritten Reich<<' in Ralf Dreier und Wolfgang Sellert (Hrsg.), Recht und Justiz im >>Dritten Reich<< (Suhrkamp1989) 151, 175.

Die Bestimmung ist übrigens bis heute im deutschen Strafgesetzbuch zu finden:

Strafgesetzbuch (StGB)
§ 265a Erschleichen von Leistungen

(1) Wer die Leistung eines Automaten oder eines öffentlichen Zwecken dienenden Telekommunikationsnetzes, die Beförderung durch ein Verkehrsmittel oder den Zutritt zu einer Veranstaltung oder einer Einrichtung in der Absicht erschleicht, das Entgelt nicht zu entrichten, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft, wenn die Tat nicht in anderen Vorschriften mit schwererer Strafe bedroht ist.
(2) Der Versuch ist strafbar.
(3) Die §§ 247 und 248a gelten entsprechend.

http://www.gesetze-im-internet.de/stgb/__265a.html

Donnerstag, 2. Juli 2015

Auxit? Nope.

261 159 Menschen haben sich also eigens in die Ämter aufgemacht, um ihre Unterschrift für das österreichische EU-Austritts-Volksbegehren abzugeben? Zweiterfolgreichstes Volksbegehren der letzten 10 Jahre? Wie auch immer man dazu stehen mag: Not bad, zumal die heimischen Medien die Sache weithin totgeschwiegen haben.
Selbst die Krone, die sich ja gerne als, sagen wir mal, „EU-kritisch“ gibt – oder hat irgendwer ein auch nur ansatzweise mit dem Anti-TTIP-Trommelfeuer (Chlorhuhn!) vergleichbare Kampagne mitbekommen? Spätestens jetzt sollte klar sein, dass ihre ach so EU-kritische Haltung vornehmlich den Verkaufszahlen dient. Dem kleinen Mann nach dem Mund schreiben eben. Ein wenig muss ich an die Figur Gail Wynand aus Ayn Rands „The Fountainhead“ denken: Ein Medienmogul, der die Meinung der breiten Masse widergibt aber letztlich dabei scheitert sie auch einmal maßgeblich prägen und beeinflussen zu wollen. So wie es der alte Dichand anno 2000 nicht geschafft hat, mit seiner Feder eine blaue (FPÖ) Regierungsbeteiligung zu verhindern.

Warum dennoch der (relative) Erfolg für das Volksbegehren, das zumindest im Rahmen einer Scheindebatte im Nationalrat diskutiert werden wird? Zwei Gründe (von vielen, eh kloa).

Zum einen haben die sogenannten Mainstream-Medien – staatseigene und staatsnahe (also jene, die am Fördertopf hängen und beste Kontakte zu Politik und Wirtschaft pflegen) – viel von ihrer Deutungshoheit eingebüßt. Mehr noch, sie gelten weniger als kritische Beobachter und Meinungsbildner, als „vierte Säule der Demokratie“, wie man sie gerne nennt, denn als Handlanger des Systems (so ein schöner alles und nichts-Begriff, I know). Unabhängigkeit und Objektivität erwarten viele kritische Geister hier nicht. Bisschen Kritik, ja, manchmal sogar durchaus heftig, man braucht ja doch ein Mindestmaß an Diskurs. Letztlich muss aber alles im Rahmen bleiben. Gewisse Glaubensgrundsätze gegenwärtiger Politik fundamental in Frage stellen? Never ever. Und da gehört „die EU“ und die mit ihr verbundenen Themenkomplexe (Schengen, Griechenland,…) nunmal dazu. Deswegen braucht man ihre Unterstützung nicht unbedingt und deswegen ist es für weite Teile der öffentlichen Wahrnehmung auch nur mäßig bedeutsam, wenn „die EU“ aller Probleme zum Trotz als letztlich notwendig und sinnvoll dargestellt wird. Mitunter stellt sich dabei sogar ein gegenteiliger Effekt ein – wenn Politik und Medien um jeden Preis an der EU festhalten, muss was faul sein.

Zum anderen und ungleich bedeutungsvoller: Es gärt. So suggeriert es einem der Blick in eine x-beliebige Tageszeitung oder, wer so weit gehen will, in die unter den jeweiligen Artikeln stehenden Kommentare. Viele Menschen sind in Sorge, fürchten sich vor den nächsten Jahrzehnten. Islamisierung beziehungsweise –neutraler ausgedrückt– Bedeutungsgewinn des Islam (was auch mit den momentanen Flüchtlingsströmen zusammenhängt) und die damit verbundene Veränderung der Gesellschaft, Terrorismus, wirtschaftliche Dauerkrise (egal, wie oft man den Leuten entgegenschreit, dass die Finanzkrise vorbei sei), gefühlter Anstieg der Kriminalität im Zeitalter der offenen Grenzen und geostrategische Querelen. Ungeachtet dessen, ob wirklich alles schlechter wird, führt das zur Suche nach Gründen und Sehnsucht nach einer Zeit, von der man zumindest glaubt, dass alles besser war. Also eben vor dem EU-Beitritt oder auch vor dem EURO (wie rappt Prinz Pi: „der deutsche Kah – sinkt seit dem Tag, als der EURO kam). Überschaubarer. Brüssel gilt schließlich als Inbegriff eines bürgerfernen bürokratischen Molochs. Deswegen interessieren die Leute sich auch bis heute wesentlich mehr für die jeweiligen nationalstaatlichen Parlamentswahlen oder Wahlen in den Bundesländern als für jene zum europäischen Parlament: Erstere sind einfach besser greif- und fassbar. Genauso, wie sie zu Dingen, die sie unmittelbar berühren (gleichgeschlechtliche Ampelfiguren oder die Errichtung einer Fußgängerzone, um zwei rezente Beispiele aus Wien zu nennen) einfach mehr Bezug haben als zu abstrakten Richtlinien und Verordnungen, die nur dann in die Medien kommen, wenn sie sich entsprechend reißerisch formulieren lassen („die EU will das Posten von Selfies vor historischen Gebäuden verbieten!).

Ob es Österreich und seiner Bevölkerung ohne EU besser ginge? Gute Frage. Was heißt denn schon besser, wann geht es einem schon gut. Von banale philosophischen Erörterungen mal abgesehen wird dabei  standardmäßig jedenfalls gerne mit Zahlen jongliert; „Österreich hat vom EU-Beitritt enorm profitiert“, heißt es dann. Ein Austritt käme einem politischen Supergau gleich, in Zeiten der Globalisierung gibt es schließlich kein Zurück zum machtlosen Nationalstaat, liest man. Alles formiert sich in Blöcken und wer dabei nicht mitmacht, bleibt auf der Strecke. Und überhaupt, das sind ohnedies nur kindische Phantasien von Leuten, die den Puls der Zeit und geopolitische Dynamiken nicht akzeptieren wollen. Unterm Strich: die EU, so viel man sich auch aufregen mag, wird nicht grundsätzlich in Frage gestellt. Spannungen und Krisen, ja, vermutlich auf unabsehbare Zeit der Dauerzustand. Aber austreten? Nein, niemals.