ζῷον πολιτικόν [zoon politikon]
Blog-Präsenz von Ralph Janik, Wien. Gedanken zu so manchem. Durchaus politisch. Internationales. Manchmal auch die Niederungen des Inneren. Zitate. Artikel. Videos. Und überhaupt.
Mittwoch, 9. März 2016
Dienstag, 8. März 2016
Syrien: Die Utopie des Friedens
Seit 5 Jahren schwelt der Konflikt in Syrien. Immer wieder wird die Frage aufgeworfen, weshalb die Welt es nicht schafft, in Syrien Frieden herzustellen und, damit einhergehend, warum der Konflikt so lange andauert.
Syrien, das war vielleicht anfangs weit weg. Mittlerweile liegt es aber sehr nah, spätestens seitdem der Konflikt durch das Anschwellen der Flüchtlingskrise an Europas und damit an Österreichs Türen geklopft hat, lässt er kaum noch jemanden kalt.
Die eingangs genannte fundamentale Frage gerät dabei immer mehr in Vergessenheit. Dass Syrien einmal ein friedliches, schönes – wohlweislich diktatorisch geführtes – Land war, ist heute kaum noch vorstellbar. Es scheint fast, als hätte man sich damit abgefunden, dass die Welt nun einmal so ist, wie sie ist. Der Krieg als unvermeidbare anthropologische Grundkonstante, die man vielleicht einhegen, ab und an auch verhindern, aber niemals ganz beseitigen kann. Auch zwei Jahrhunderte nach Immanuel Kants mitunter bedeutsamster Schrift Zum Ewigen Frieden sind wir von einem solchen nach wie vor weit entfernt.
Warum Krieg?
Die genauen Gründe für den Ausbruch des Konflikts sind bis heute nicht restlos geklärt. Eine Lesart geht von einer Erhebung des unzufriedenen Volkes aus, die brutal und völlig unverhältnismäßig niedergeschlagen wurde. Wobei religiös-fanatisierte und sich aus zahlreichen ausländischen Kämpfern zusammensetzende Gruppen erst relativ spät die Bühne betreten haben sollen. Zunächst sind viele Angehörige der syrischen Armee desertiert, um al-Assad zu stürzen und, im Idealfall, ein demokratisches und die Menschenrechte achtenden System zu errichten. Später, mit Fortschreiten der Kampfhandlungen wuchs auch der Druck auf den Westen und umliegende Staaten, die Gegner al-Assads zu unterstützen.
Anderen zufolge bestand die weitgehende Einmischung von außen bereits äußerst früh. Demokratie und Menschenrechte dienten dabei lediglich ein Feigenblätter. Was sich vor allem daran zeigt, dass allen voran Saudi-Arabien von Beginn weg seine Finger im Spiel gehabt haben soll. Was insofern plausibel erscheint, als der Sturz Bashar al-Assads und die Etablierung einer sunnitischen, möglicherweise salafistischen Regierung mit enger Verbindung zu Saudi-Arabien den großen regionalen Rivalen Iran entschieden schwächen würde. Was auch im Interesse der westlichen Verbündeten wäre, allen voran der USA, aber auch Israels, das im Iran immer noch den Hauptfeind in der Region sieht. Eben jener Iran leistet – gemeinsam mit Russland, das bereits seit den 1970er Jahren eng mit Syrien verbunden ist – maßgebliche Unterstützung für al-Assad. Was wiederum unter anderem daran liegt, dass al-Assad und das syrische Territorium für die Versorgung der Hisbollah (und umgekehrt) unerlässlich sind. Zuletzt sei auch die Türkei genannt, die gegen die syrischen Kurden (genauer gesagt die YPG) vorgeht, weil sie diese als verlängerten Arm der PKK betrachtet. So hat die Türkei bereits im Juni 2011 eine Konferenz der syrischen Opposition auf ihrem Gebiet zugelassen, seit dem Frühling 2012 unterstützt sie aktiv den gewaltsamen Umsturz al-Assads.
Kurzum: In Syrien herrscht kein Bürgerkrieg im genuinen Sinne, sondern ein Stellvertreterkrieg. Zentraler Zankapfel dabei ist der Verbleib al-Assads beziehungsweise die Frage, welchen Staaten eine künftige syrische Regierung eher gewogen wäre. Solange hier keine Entscheidung vorliegt, ist kein Ende in Sicht.
Zur Bedeutung des "Islamischen Staats"
Der „Islamische Staat“ ist dabei eine maßgebliche Facette, aber nicht unbedingt entscheidend. Offiziell ist er der Feind, auf den sich alle einigen können, eine Art hostis humanigeneris. Inoffiziell ist die Sache wesentlich komplexer, was auch die vielen im Raum stehenden Vorwürfe erklärt: Hat al-Assad ihn bewusst großwerden lassen, um als geringeres Übel dazustehen? Wird oder wurde er von der Türkei unterstützt? Was ist mit den USA, war das Entstehen des "IslamischenStaats" wirklich nicht absehbar beziehungsweise welche Rolle spielt der Irakkrieg 2003?
Wie so ziemlich jeder Krieg ist auch jener in Syrien ein idealer Nährboden für Gerüchte, Mutmaßungen – manche berechtigt, manche eher weniger – und Verschwörungstheorien. Das erste Opfer des Krieges ist immer noch die Wahrheit; wer diese will, muss sich zumeist lange gedulden und selbst dann gibt es oftmals keine Gewissheit.
Wie so ziemlich jeder Krieg ist auch jener in Syrien ein idealer Nährboden für Gerüchte, Mutmaßungen – manche berechtigt, manche eher weniger – und Verschwörungstheorien. Das erste Opfer des Krieges ist immer noch die Wahrheit; wer diese will, muss sich zumeist lange gedulden und selbst dann gibt es oftmals keine Gewissheit.
Selbst wenn der „Islamische Staat“ irgendwann besiegt sein sollte, ist der Frieden in Syrien weit entfernt. Wobei offen bleibt, ab wann man überhaupt von einem „Sieg“ sprechen kann – am ehesten, wenn er seine Gebiete verloren hat und nur noch klandestin agieren kann beziehungsweise allenfalls kleinere Landstriche kontrolliert.
Wer ist "die Welt"?
Womit wir zum Hauptpunkt kommen: "Die Welt" beziehungsweise eine "internationale Gemeinschaft" existiert höchstens in Ausnahmefällen. Manchmal gibt es Themen, bei denen wirklich so etwas ähnlich wie universale Einigkeit herrscht. Beim Konflikt in Libyen 2011 war man beispielsweise relativ nahe dran, was an der weitgehenden außenpolitischen Isolation Gaddafis lag – eine Folge seiner schweren Verfehlungen in der Vergangenheit, etwa das Lockerbie-Attentat oder der Anschlag auf die Berliner Diskothek "La Belle". Al-Assad kann auf einflussreiche Verbündete bauen. Syrien ist ein Lehrbuchbeispiel für einen von einander widerstreitenden Interessen geopolitischer, wirtschaftlicher, ethnischer und religiöser Natur geprägten Konflikt. Moral spielt hier nur bedingt eine Rolle. Wobei keine der involvierten Parteien nachzugeben gedenkt. Sobald eine ihre Unterstützung erhöht, ziehen die anderen nach. John Kerry etwa drohte Russland erst unlängst, dass der Krieg noch hässlicher werden könnte. Was angesichts des bisherigen Verlaufs und dem damit einhergehenden Leid nach purem Zynismus klingt. Keine guten Aussichten für den unter diesen Umständen leider utopischen Wunsch nach Frieden.
Zitat zum Tag
Eine Aufgabe gerade der Forscher und Wissenschaftler – und vor allem vielleicht der Sozialwissenschaftler – besteht darin, die Erträge ihrer Forschung allen zugänglich zu machen. Wir sind, wie Husserl sagte, "Beamte der Menschheit", vom Staat bezahlt, um etwas aus dem Bereich der Natur oder der Gesellschaft ans Licht zu bringen, und es gehört, wie es mir scheint, zu unseren Verpflichtungen, das Entdeckte offenzulegen.
Pierre Bourdieu, Über das Fernsehen (Suhrkamp 1996/1998), 18
Montag, 7. März 2016
Juristisches Fundstück (1959) #2
OGH, 14.10. 1959, Geschäftszahl 2Ob317/59
Wie man dem ABGB-ON-Kommentar entnehmen darf, geht es dabei übrigens um die "Heiratsaussichten schlechthin", der Nachweis einer konkreten Heiratsaussicht ist also nicht notwendig. Wer bereits verheiratet ist, hat keinen Anspruch, eine bestehende Partnerschaft oder gar eine Verlobung sind wiederum unerheblich, zumal diese ja jederzeit aufgelöst werden können.
"Diese Erwägung muß vorliegendenfalls umso mehr gelten, als die Klägerin konkrete Aussichten einer Heirat mit einem angehenden Techniker dargetan und zugleich nachgewiesen hat, daß diese Aussichten infolge des ihr zugestoßenen Unfalls zunichte geworden sind. Zutreffend weist die Revisionswerberin aber auch darauf hin, daß sie nunmehr als kleine Angestellte ohne jede Aussicht auf besonderen Aufstieg im Leben stehe. Die durch den Unfall vom 6. März 1955 herbeigeführte Beeinträchtigung der äußeren Erscheinung der Klägerin bedeutet ja auch eine Erschwernis im Fortkommen der Klägerin im Angestelltenberuf, weil ihr damit Stellen verschlossen bleiben müssen, in denen auf äußere Erscheinung besonderes Gewicht gelegt wird."
Siehe https://www.ris.bka.gv.at/Dokumente/Justiz/JJT_19591014_OGH0002_0020OB00317_5900000_000/JJT_19591014_OGH0002_0020OB00317_5900000_000.pdf
§1326 ABGB ist nach wie vor in Kraft:
§1326 ABGB ist nach wie vor in Kraft:
§ 1326. Ist die verletzte Person durch die Mißhandlung verunstaltet worden; so muß, zumahl wenn sie weiblichen Geschlechtes ist, in so fern auf diesen Umstand Rücksicht genommen werden, als ihr besseres Fortkommen dadurch verhindert werden kann.
Wie man dem ABGB-ON-Kommentar entnehmen darf, geht es dabei übrigens um die "Heiratsaussichten schlechthin", der Nachweis einer konkreten Heiratsaussicht ist also nicht notwendig. Wer bereits verheiratet ist, hat keinen Anspruch, eine bestehende Partnerschaft oder gar eine Verlobung sind wiederum unerheblich, zumal diese ja jederzeit aufgelöst werden können.
Freitag, 4. März 2016
Donald Trump vs. das Establishment
Mittlerweile kann man die ursprünglich absurde Vorstellung, dass
der nächste US-Präsident Donald Trump heißen könnte, nicht mehr als völlig
unrealistisch beiseite wischen. Ursache und Wirkung werden dabei jedoch gerne
verwechselt.
"Donald Trump ist eine ernsthafte
Bedrohung für die amerikanische Demokratie" titelte ein Beitrag von Larry Summers in der Washington Post vor Kurzem. Weniger wegen seiner politischen Ansichten denn seiner
demagogischen Selbstdarstellung: Trump als der starke Mann, die personifizierte
Universallösung. Wer ihm im Weg steht, wird aus dem Weg geräumt.
Der inhärente Zusammenhang zwischen
Demokratien auf der einen und Demagogie und Populismus auf der anderen Seite
zieht sich seit je her durch die Ideengeschichte (die Suche nach dem richtigen
Verhältnis zwischen Volks- und Elitenherrschaft finden wir etwa schon bei
Aristoteles).
Der Zustand der US-Demokratie
Trumps Erfolg ist in diesem Lichte zu
sehen. Er stellt nur die letzte Stufe im schon seit geraumer Zeit andauernden
Verfallsprozess des politischen und gesellschaftlichen Systems der USA dar.
Dazu reicht ein kurzer Blick auf einige der vielen Gründe für seine Beliebtheit: Er gilt als ehrlich, gehört nicht dem politischen Machtapparat an und ist
finanziell unabhängig. Dabei kommt es auch nicht darauf an, ob diese Punkte
faktisch zutreffen (man denke nur an die viral gegangene "Last Week Tonight"-Ausgabe zu seiner Person). Entscheidend ist, dass er diesen Eindruck glaubwürdig vermittelt und das
tut er. Trump präsentiert sich als schwerreicher Robin Hood im Kampf gegen
"die da oben"; der kein Steuergeld braucht und nicht aufs big
business angewiesen ist, weil er als erfolgreicher Geschäftsmann selbst genug
davon hat. Daher verfolgt er keine Eigeninteressen und kann unabhängig von
außen für die USA und ihre Bevölkerung eintreten (für weitere damit einhergehende Gründe siehe hier).
Die US-Demokratie liegt nicht erst seit
gestern im Argen. Gut möglich, dass das freilich auch in Europa immer stärker
auftretende Gefühl der Entfremdung zwischen Politik und Volk in den USA als dem
Land der Ungleichheit (ungeachtet dessen, wie man dazu steht), am
allerstärksten ausgeprägt ist. Selbst ein großer Name wie Fareed Zakaria fällte
in seinem Buch „The Future of Freedom. Illiberal Democracy at Home and
Abroad“ ein vernichtendes Urteil. Demokratie habe
nichts mehr mit seinen antikane Ursprüngen zu tun, sondern werde vielmehr von
reichen und organisierten Minderheiten beherrscht, die sich und den status quo auf Kosten der Zukunft absichern.
Zu einem noch drastischeren Schluss
gelangten Martin Gilens (Princeton) und Benjamin Page (Norhwestern University)
im April 2014. Sie haben den faktischen Entscheidungsprozess, die
dahinterstehenden Akteure und die Endresultate genauer –
"wissenschaftlich" – untersucht. Ihr drastischer Schluss, der damals
auch durchaus für viel Aufsehen gesorgt hat und mittlerweile wieder versandet
ist: Die USA sind nicht mehr als Demokratie, sondern als
Oligarchie anzusehen. Selbst größere organisierte Gruppen haben
ihren Untersuchungen zufolge wenig bis keinen Einfluss auf den politischen
Prozess. Dieser liege faktisch vielmehr in den Händen wirtschaftlicher Eliten
und großer Konzerne – kurzum: Des (wirtschaftlichen) Establishments.
Symptom des Verfalls
Das ist der Nährboden, auf dem Populismus
besonders gut gedeiht. Immer dann, wenn die gefühlte oder tatsächliche Kluft
zwischen weiten Teilen der Bevölkerung und den "Eliten" ein gewisses
Maß überschreitet. Wenn immer mehr Menschen das Gefühl haben, dass wählen nur
wenig bis nichts bringt, etwa, weil die etablierten Parteien einander zu sehr
ähneln. Wenn der allgemein akzeptierte "Grundkonsens" einen zu engen
Rahmen setzt. Was oft mit dem Eindruck einhergeht, dass Parteien und Politiker
ohnehin dem Diktat des "big business" gehorchen. Daher schadet ihm
die immer stärker auf ihn einprasselnde Kritik aus den Reihen der Republikaner
und der Democrats oder auch von Seiten der großen Medienhäuser auch nicht, ja,
macht ihn eventuell sogar stärker. Getreu der Losung "wenn die ihn nicht
mögen, ist er wohl nicht so übel."
Es gilt, das Phänomen Trump richtig
einzuordnen. Man kann ihn durchaus als Totengräber der US-Demokratie ansehen.
Dabei darf man aber nicht vergessen, wer beziehungsweise was ihm die Schaufel
in die Hand gegeben hat. Er ist nicht Auslöser, sondern Symptom.
Die USA stecken auch ohne Trump in einer gesellschaftlichen und politischen
Krise. Wenn nicht er, dann hätte sie früher oder später jemand anderer
offenkundig gemacht.
Donnerstag, 3. März 2016
Juristisches Fundstück (1961)
Schrecklich, diese Juristen. Das Pornographiegesetz ist übrigens formaljuristisch noch immer in Kraft. Bisweilen wird es sogar ins Spiel gebracht beziehungsweise instrumentalisiert, etwa im Zusammenhang mit dem lifeball-Plakaten: http://www.heute.at/news/politik/FPOe-bringt-Anzeige-gegen-Lifeball-Plakat-ein;art23660,1019083
Oder auch https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XX/AB/AB_02070/index.shtml
Zu seinem Hintergrund sei die Dissertation von Elisabeth Holzleithner, Professorin für Rechtsphilosophie und Legal Gender Studies, empfohlen (online unter http://homepage.univie.ac.at/elisabeth.holzleithner/Dissertation.pdf)
Im Gesetz selbst findet man diese Bestimmungen:
§ 1. (1) Eines Verbrechens macht sich schuldig, wer in gewinnsüchtiger Absicht
a)
unzüchtige Schriften, Abbildungen, Laufbilder oder andere unzüchtige Gegenstände herstellt, verlegt oder zum Zwecke der Verbreitung vorrätig hält,
b)
solche Gegenstände einführt, befördert oder ausführt,
c)
solche Gegenstände anderen anbietet oder überläßt, sie öffentlich ausstellt, aushängt, anschlägt oder sonst verbreitet oder solche Laufbilder anderen vorführt,
d)
sich öffentlich oder vor mehreren Leuten oder in Druckwerken oder verbreiteten Schriften zu einer der in den lit. a bis c bezeichneten Handlungen erbietet,
e)
auf die in lit. d bezeichnete Weise bekanntgibt, wie von wem oder durch wen unzüchtige Gegenstände erworben oder ausgeliehen oder wo solche Gegenstände besichtigt werden können.
(2) Die Tat wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr bestraft. Neben der Freiheitsstrafe kann eine Geldstrafe bis zu 360 Tagessätzen verhängt werden.
(3) Wurde die Tat mit Beziehung auf ein Druckwerk verübt, so sind die für das Vergehen nach § 516 StG. geltenden Bestimmungen des Preßgesetzes über den Verfall des Druckwerkes, die Unbrauchbarmachung der zu seiner Herstellung dienenden Platten und Formen, die vorläufige Beschlagnahme und das Strafverfahren in Preßsachen überhaupt dem Sinne nach anzuwenden.
§ 2. (1) Eines Vergehens macht sich schuldig, wer wissentlich
a)
eine Schrift, Abbildung oder sonstige Darstellung, die geeignet ist, die sittliche oder gesundheitliche Entwicklung jugendlicher Personen durch Reizung der Lüsternheit oder Irreleitung des Geschlechtstriebes zu gefährden, oder einen solchen Film oder Schallträger einer Person unter 16 Jahren gegen Entgelt anbietet oder überläßt,
b)
eine solche Schrift, Abbildung oder sonstige Darstellung auf eine Art ausstellt, aushängt, anschlägt oder sonst verbreitet, daß dadurch der anstößige Inhalt auch einem größeren Kreis von Personen unter 16 Jahren zugänglich wird,
c)
einer Person unter 16 Jahren ein solches Laufbild oder einen solchen Schallträger vorführt oder eine Theateraufführung oder sonstige Darbietung oder Veranstaltung der bezeichneten Art zugänglich macht.
Siehe https://www.ris.bka.gv.at/GeltendeFassung.wxe?Abfrage=Bundesnormen&Gesetzesnummer=10005226&ShowPrintPreview=True
Mittwoch, 2. März 2016
Politikerbashing: Lasst das Aussehen raus
Die vom österreichischen
Bundesinnenministerium gestern angekündigte Kampagne in Afghanistan hat – wie
immer, wenn die Regierung irgendwelche Maßnahmen und Aktionen beschließt – eine
Empörungswelle ausgelöst. Darunter befanden sich auch zahlreiche Memes und
bearbeitete Fotos, in denen das Aussehen der Innenministerin in den Vordergrund
gestellt wurde. So diene Mikl-Leitners Gesicht als beste Abschreckung für
potentielle Flüchtlinge beziehungsweise solle man dieses plakatieren, um
Österreich für diese unattraktiv zu machen.
Ähnliches kann man auch immer wieder im Zusammenhang mit anderen weiblichen (etwa im Zusammenhang mit Janine Wulz oder Angela Merkel) und freilich auch männlichen Politikern (man denke an die häufige Thematisierung von Sigmar Gabriels Körperfülle) beobachten.
Eines vorweg: Ja, man muss in der Politik eine dicke Haut haben und viel über sich ergehen lassen. Zumal die Innenministerin seit je her eine äußerst streitbare Figur ist. Wie der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte beispielsweise im Fall Baskaya und Okcuoglu gegen die Türkei feststellte, gilt für Regierungsmitglieder ein anderer Maßstab als für Privatpersonen oder gar für andere Politiker.
Die Grenzen der Satire
Ungeachtet der leidigen juristischen Fragen der Grenzen der Meinungsfreiheit – auf die hier nicht näher eingegangen werden soll – stellt sich jedoch jene des guten Geschmacks. Der ist gerade bei Satire freilich so eine Sache für sich. Oft genug scheint der satirische Gehalt stark hinter der Anfeindung als solcher zurückzutreten. Dann verkommt die Satire schnell zum Deckmantel für reine personenbezogene untergriffige Angriffe.
Ganz allgemein ist das negative Hervorheben des Aussehens von Politikern und sonstigen Personen öffentlichen Interesses höchst problematisch (man spricht, je nachdem, von body shaming und face shaming). Jedenfalls im kleineren Rahmen – Stichwort Mobbing in der Schule oder am Arbeitsplatz – hat eine Desavouierung auf dieser Grundlage nichts verloren. Auch beziehungsweise gerade im öffentlichen Bereich sollte grundsätzlich dasselbe gelten. Auch wenn manche Anlässe richtiggehend danach schreien (ich denke spontan an das mittlerweile wohlfeil bekannte Foto von Sigmar Gabriel neben Til Schweiger, das mit "dick und doof" betitelt wurde; oder an den ehemaligen FPÖ-Chef Herbert Haupt, der die Patenschaft für ein Nilpferd übernommen hatte; dazu gibt es auch ein OGH-Urteil) und somit durchaus von Satire gedeckt sind, sollte man stets Vorsicht walten lassen. Der gute Geschmack hat nunmal seine stets neu auszukalibrierenden Grenzen.
Die Auswirkungen von "body shaming" und "face shaming"
Denn die mit dem Abstellen auf Körperliches einhergehende Botschaft weist mehrere Facetten auf: Einerseits tritt inhaltliche Kritik an politischen Vorhaben und Politikern dadurch in den Hintergrund, obwohl diese ungleich bedeutsamer ist. Daneben sinkt mitunter auch die Dialogbereitschaft, nach dem Motto "wieso soll ich mit jemanden diskutieren, der mich auf eine solche Art und Weise darstellt?"
Andererseits verlangen Themen wie body shaming und face shaming Konsequenz. Sollte es doch ungeachtet der Person, auf die es abzielt, ganz allgemein inakzeptabel sein. Wenn Ausnahmen gemacht werden, weil man das Objekt derartiger Angriffe aufgrund seines Verhaltens als besonders verachtenswert empfindet, kompromittiert man damit die Bemühungen in diese Richtung mit einem Streich als Ganzes. Läuft das letzten Endes doch darauf hinaus, dass man nur dann vor Angriffen gegen sein Äußeres geschützt ist, wenn man sich entsprechend verhält. Was letzten Endes nur in Willkür und wechselseitigem Einsatz von body und face shaming enden kann. "Wenn Mikl-Leitner wegen ihres Aussehens angegriffen werden darf, dann gilt das auch für Eva Glawischnig und so weiter." Nein, eben nicht, es ist bei beiden nicht in Ordnung.
Davon abgesehen wird dadurch zu einem gewissen Teil die Schuld auf das Opfer derartiger Angriffe ausgelagert. Die Ächtung von body und face shaming ist grundsätzlich an keine vom Ziel der Angriffe abhängige Einschränkungen geknüpft. Widrigenfalls hätte nicht der Urheber der Angriffe, sondern das Opfer selbiger sie mit seinem Verhalten herbeigeführt und damit legitimiert – eine fragwürdige Argumentationskette.
Der mittelbare – gesellschaftliche Effekt
Abgesehen von den Auswirkungen auf das direkte Ziel der Angriffe und auf die Anstrengungen gegen body und face shaming gibt es auch eine darüber hinausgehende, mittelbare Wirkung. Wenn man öffentlich das äußere Erscheinungsbild von Personen als „hässlich“, „fett“, „faltig“ oder sonstwie besonders negativ, weil nicht „schön“ angreift, trifft man damit unzählige weitere Menschen gleich mit. Auch wenn Spitzenpolitiker in den Augen von vielen mittlerweile als äußerst abgehoben gelten, sehen sie immer noch nicht anders aus als der Rest der Bevölkerung. Wer Sigmar Gabriel wegen seiner Leibesfülle als fettes Schwein und dergleichen bezeichnet, attackiert damit andere, ähnlich aussehende Menschen gleich mit. Das sollte einem bewusst sein. Selbiges gilt selbstredend ebenso, wenn man weibliche Politikerinnen als „unattraktiv“ „hässlich“ oder gar als im negativen Sinne negativ-repräsentativ für die weibliche Bevölkerung eines Landes darstellt. So richten die Angriffe nicht nur gegen das Aussehen der österreichischen Bundesinnenministerin, sondern gegen jenes sehr vieler Frauen in ihrem Alter. Das muss und sollte nicht sein.
Ähnliches kann man auch immer wieder im Zusammenhang mit anderen weiblichen (etwa im Zusammenhang mit Janine Wulz oder Angela Merkel) und freilich auch männlichen Politikern (man denke an die häufige Thematisierung von Sigmar Gabriels Körperfülle) beobachten.
Eines vorweg: Ja, man muss in der Politik eine dicke Haut haben und viel über sich ergehen lassen. Zumal die Innenministerin seit je her eine äußerst streitbare Figur ist. Wie der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte beispielsweise im Fall Baskaya und Okcuoglu gegen die Türkei feststellte, gilt für Regierungsmitglieder ein anderer Maßstab als für Privatpersonen oder gar für andere Politiker.
Die Grenzen der Satire
Ungeachtet der leidigen juristischen Fragen der Grenzen der Meinungsfreiheit – auf die hier nicht näher eingegangen werden soll – stellt sich jedoch jene des guten Geschmacks. Der ist gerade bei Satire freilich so eine Sache für sich. Oft genug scheint der satirische Gehalt stark hinter der Anfeindung als solcher zurückzutreten. Dann verkommt die Satire schnell zum Deckmantel für reine personenbezogene untergriffige Angriffe.
Ganz allgemein ist das negative Hervorheben des Aussehens von Politikern und sonstigen Personen öffentlichen Interesses höchst problematisch (man spricht, je nachdem, von body shaming und face shaming). Jedenfalls im kleineren Rahmen – Stichwort Mobbing in der Schule oder am Arbeitsplatz – hat eine Desavouierung auf dieser Grundlage nichts verloren. Auch beziehungsweise gerade im öffentlichen Bereich sollte grundsätzlich dasselbe gelten. Auch wenn manche Anlässe richtiggehend danach schreien (ich denke spontan an das mittlerweile wohlfeil bekannte Foto von Sigmar Gabriel neben Til Schweiger, das mit "dick und doof" betitelt wurde; oder an den ehemaligen FPÖ-Chef Herbert Haupt, der die Patenschaft für ein Nilpferd übernommen hatte; dazu gibt es auch ein OGH-Urteil) und somit durchaus von Satire gedeckt sind, sollte man stets Vorsicht walten lassen. Der gute Geschmack hat nunmal seine stets neu auszukalibrierenden Grenzen.
Die Auswirkungen von "body shaming" und "face shaming"
Denn die mit dem Abstellen auf Körperliches einhergehende Botschaft weist mehrere Facetten auf: Einerseits tritt inhaltliche Kritik an politischen Vorhaben und Politikern dadurch in den Hintergrund, obwohl diese ungleich bedeutsamer ist. Daneben sinkt mitunter auch die Dialogbereitschaft, nach dem Motto "wieso soll ich mit jemanden diskutieren, der mich auf eine solche Art und Weise darstellt?"
Andererseits verlangen Themen wie body shaming und face shaming Konsequenz. Sollte es doch ungeachtet der Person, auf die es abzielt, ganz allgemein inakzeptabel sein. Wenn Ausnahmen gemacht werden, weil man das Objekt derartiger Angriffe aufgrund seines Verhaltens als besonders verachtenswert empfindet, kompromittiert man damit die Bemühungen in diese Richtung mit einem Streich als Ganzes. Läuft das letzten Endes doch darauf hinaus, dass man nur dann vor Angriffen gegen sein Äußeres geschützt ist, wenn man sich entsprechend verhält. Was letzten Endes nur in Willkür und wechselseitigem Einsatz von body und face shaming enden kann. "Wenn Mikl-Leitner wegen ihres Aussehens angegriffen werden darf, dann gilt das auch für Eva Glawischnig und so weiter." Nein, eben nicht, es ist bei beiden nicht in Ordnung.
Davon abgesehen wird dadurch zu einem gewissen Teil die Schuld auf das Opfer derartiger Angriffe ausgelagert. Die Ächtung von body und face shaming ist grundsätzlich an keine vom Ziel der Angriffe abhängige Einschränkungen geknüpft. Widrigenfalls hätte nicht der Urheber der Angriffe, sondern das Opfer selbiger sie mit seinem Verhalten herbeigeführt und damit legitimiert – eine fragwürdige Argumentationskette.
Der mittelbare – gesellschaftliche Effekt
Abgesehen von den Auswirkungen auf das direkte Ziel der Angriffe und auf die Anstrengungen gegen body und face shaming gibt es auch eine darüber hinausgehende, mittelbare Wirkung. Wenn man öffentlich das äußere Erscheinungsbild von Personen als „hässlich“, „fett“, „faltig“ oder sonstwie besonders negativ, weil nicht „schön“ angreift, trifft man damit unzählige weitere Menschen gleich mit. Auch wenn Spitzenpolitiker in den Augen von vielen mittlerweile als äußerst abgehoben gelten, sehen sie immer noch nicht anders aus als der Rest der Bevölkerung. Wer Sigmar Gabriel wegen seiner Leibesfülle als fettes Schwein und dergleichen bezeichnet, attackiert damit andere, ähnlich aussehende Menschen gleich mit. Das sollte einem bewusst sein. Selbiges gilt selbstredend ebenso, wenn man weibliche Politikerinnen als „unattraktiv“ „hässlich“ oder gar als im negativen Sinne negativ-repräsentativ für die weibliche Bevölkerung eines Landes darstellt. So richten die Angriffe nicht nur gegen das Aussehen der österreichischen Bundesinnenministerin, sondern gegen jenes sehr vieler Frauen in ihrem Alter. Das muss und sollte nicht sein.
Montag, 29. Februar 2016
Die Beharrlichkeit der Angela Merkel
Unter
dem Schatten der Oskarverleihungen sorgt derzeit auch Angela Merkels gestriger
Auftritt bei Anne Will für Gesprächsstoff. Ich habe ihn bewusst nicht
angesehen, mir reicht die Nachlese (am Rande
bemerkt: Allgemein sind TV-Auftritte von Politikern nicht so meins. Zu groß das
Gefühl der Ohnmacht, wenn man Politikern hinter dem Fernseher regelrecht
ausgeliefert ist. Keine Möglichkeit hat, Fragen zu stellen oder Einwände
anzubringen).
Angela
Merkel spaltet wie in den letzten Jahrzehnten kaum eine andere politische Figur
vor ihr (spontan fiele mir jetzt Margaret Thatcher ein). Was nicht nur an der
Person, sondern auch an den großen Fragen unserer Zeit liegt – erst das
Schicksal des EURO beziehungsweise der Eurozone, das immer noch alles andere
als geklärt ist und jetzt die Flüchtlingskrise, die sich zu einer fundamentalen
Bedrohung für ganz Europa auswächst.
Die
"europäische Lösung"
Angela
Merkel betonte einmal mehr, eine europäische Lösung zu wollen. Ungeachtet des ihr entgegenwehenden Winds, der
mittlerweile schon zu einem Orkan ausgeartet ist. Ungeachtet der zunehmenden
außenpolitischen Isolation und der Abhängigkeit von der Türkei, mit der nächste
Woche erneut Verhandlungen geführt werden sollen. Eine im Hinblick auf die
Meldungen von Erdogans Gesprächsstil (angeblich soll er damit gedroht haben, die Tore nach Griechenland und zu
Bulgarien zu öffnen und die Flüchtlinge in Busse zu setzen) und seiner
allgemeinen Regierungsführung höchst fragwürdige Strategie.
Außerdem
betonte Angela Merkel, keinen Plan B zu haben. Was angesichts des Misserfolgs
von Plan A dann doch Sorgenfalten hervorruft. Dennoch betonte sie, dass es
nichts gebe, was eine Kursänderung ihrerseits hervorrufen könne.
Manche
loben die deutsche Kanzlerin für ihre Konsequenz. Sie beweise derzeit als eine
von wenigen Weitblick und Humanität, ohne sich dabei von Umfragewerten oder
Populisten im In- und Ausland beirren zu lassen. Das kann man alles seinerseits
hinterfragen, die verschiedensten Theorien zu ihrer Haltung sind im Umlauf.
Manche sprechen davon, dass sie um jeden Preis das nach dem Griechenlandfiasko
mehr als angeknackste Image Deutschlands rehabilitieren wolle. Wieder andere davon,
dass sie in einer Parallelwelt lebe, in der die Ängste und Nöte der unteren
sozialen Schichten keine Rolle spielen, ja nicht einmal bekannt sind. Manche
betonen gar, dass sie eben nicht langfristig denke, sondern sich selbst um
jeden Preis ein politisches Denkmal setzen wolle (zumal sie ja keine eigenen
Kinder hat).
"Sunk
costs"?
Vielleicht
ist der Grund für ihr Festhalten am eingeschlagenen Kurs auch wesentlich
banaler und kommt gänzlich ohne ad hominem-, also
unmittelbar gegen ihre Person gerichtete Argumente aus. Vielleicht unterliegt
sie auch einfach nur einem psychologischen Fehlschluss, den man als sunk costs bezeichnet. Man findet ihn in
populärwissenschaftlichen Büchern von Vertretern der sogenannten Behavioral
Economics. Diese hinterfragen das in
den Wirtschaftswissenschaften immer noch weit verbreitete Bild vom rational
handelnden (Wirtschafts-)Akteur – dem homo oeconomicus. Schließlich handeln
Menschen oft genug höchst irrational. Zum Beispiel dann, wenn sie zur
Erreichung eines Ziels bereits viel eingesetzt und verloren haben und diese
Verluste um jeden Preis wieder hereinholen möchten. Obwohl die bereits
erlittenen Verluste rein rational betrachtet keine Auswirkungen auf spätere
Entscheidungen haben sollten, wobei die gemachten Erfahrungen eigentlich eines
Besseren belehren sollten.
Man
kann dieses Verhalten in Casinos ebenso gut beobachten. Oder bei
Geschäftsmännern und -frauen, die ihre ach so tolle Business-Idee einfach nicht
aufgeben wollen. Oder eben mitunter bei Angela Merkel, die sich in der
europäischen Flüchtlingsfrage einfach nicht von ihrem Weg abbringen lassen
möchte – zumal sie erst im Dezember betonte, wie viel man bereits geschafft habe.
Manchmal
ist Beharrlichkeit wichtig. Manche Businessideen gehen, wenn auch verspätet, am
Ende dann doch auf. Dann lobt man den unermüdlichen Einsatz für eine Idee, an
die man geglaubt hat, als alle anderen sie totgesagt haben.
Aus Fehlern lernen
Oft
genug scheitert man jedoch. Dann ist der Schuldenberg höher als notwendig, oft
werden gesamte Familien mit hineingezogen und vieles hätte sich vermeiden
lassen, wenn man früher zur Vernunft gekommen wäre. Also sich damit abgefunden
hätte, dass sie bereits erlittenen Verluste nicht mehr rückgängig gemacht
werden können, erst Recht nicht mit einer Idee, die eigentlich als gescheitert
zu betrachten ist.
Ob
man Angela Merkels Plan als gescheitert betrachtet, liegt freilich im Auge des
Betrachters. Ein abschließendes Urteil will ich mir nicht erlauben. Vielleicht
ist Europa nicht so weit. Vielleicht triumphiert Realpolitik einmal mehr über
Ideale. Vielleicht war die Sache gut gemeint, nur eben im Endeffekt doch zu
planlos.
Unabhängig
davon sollten rational betrachtet gerade in derart heiklen Bereichen bereits
getätigte Aufwendungen und Verluste bei der Entscheidungsfindung keine
beziehungsweise allenfalls eine untergeordnete Rolle spielen. Eigentlich. Umso
mehr, als – ob wir wollen oder nicht (und hier liegt die Unterscheidung zum
gescheiterten Unternehmer) – die Entscheidungen der Regierung Merkel
Auswirkungen auf ganz Europa und damit auf jeden einzelnen von uns haben.
Samstag, 27. Februar 2016
"Ja, aber xyz macht das auch" – von der Gesprächs(un)kultur und dem großen Relativieren
Unsere Gesprächskultur ist kaputt. Zumindest beziehungsweise insbesondere, wenn es um die ganz heiklen Themen unserer Zeit geht: Geschlechterdebatte, Flüchtlingskrise und Islam, um nur drei zu nennen.
Wenig verwunderlich, die damit zusammenhängenden Fragen sind überaus emotional besetzt. Persönliche Erfahrungen, Ängste und Sorgen spielen eine große Rolle. Da bleibt die Sachlichkeit oft genug auf der Strecke.
Allein, rein emotional geführte Debatten tragen nur wenige Früchte, wenn überhaupt. Eigentlich sollte es bei Diskussionen nicht darum gehen, zu „gewinnen“, also den eigenen Willen um jeden Preis durchzusetzen. Sondern darum, eine vernünftige Lösung zu finden, mitunter überhaupt erst das Problem zu identifizieren. Und dafür braucht es weniger Emotion und mehr Logik.
Der tu quoque-Fehlschluss
Unter den unzähligen populären logischen Fehlschlüssen und sonstigen Scheinargumenten sticht mir seit je her jener des tu quoque unliebsam ins Auge. Damit meint man die Abwertung oder Zurückweisung eines Arguments durch den Verweis auf (Fehl-)Verhalten desjenigen, der es äußert (aber auch anderer). Besonders oft stößt man in Parlamenten darauf – wenn (Oppositions-)Partei A Partei B beispielsweise dafür kritisiert, nichts zu tun, um die Pensionen langfristig zu sichern und Partei B damit antwortet, dass Partei A ja das auch nicht gemacht hat, als sie in der Regierung war. Oder, um ein zweites Beispiel zu nennen, Missstände innerhalb des islamischen Raums damit relativiert oder gar zurückgewiesen werden, dass es im Christentum auch nicht so viel besser aussähe.
Das mag ja manchmal notwendig sein, um die Dinge in Perspektive zu rücken. Zu verdeutlichen, dass von Partei A wohl ebenso keine Lösung in der Pensionsfrage zu erwarten ist, sondern eher von Partei C, die ihre Glaubwürdigkeit eventuell noch nicht verspielt hat.
Oder, im zweiten genannten Fall, dass der Islam mit seinem hochproblematischen Frauenbild nicht alleine dasteht. Eine Modernisierung durchaus möglich ist, da andere Religionen ja auch Fortschritte in diesen und anderen Bereichen gemacht haben. Oder, sofern man derartige Fortschritte bestreitet, viele ihrer Anhänger sie wenigstens nicht mehr so streng leben (Stichwort Taufscheinchrist).
Mehr Logik wagen
Allein, oft genug werden Argumente und wichtige Diskussionen mit tu quoque, mit einem „ja, aber XYZ macht das auch“ regelrecht abgewürgt. Wenn Partei B sich darauf versteift, Partei A das Recht auf Kritik abspricht, wird dadurch das Pensionsproblem nicht gelöst. Dass im Namen des Christentums Verbrechen begangen werden und wurden, macht das die Verbrechen im Namen des Islam nicht besser. Die Probleme und Missstände im Bereich der einen Religion ändern nichts an den Problemen und Missständen der anderen.
Gut möglich, dass vielen gar nicht bewusst ist, dass sie oftmals logischen Trugschlüssen unterliegen. Nicht jeder praktiziert den gezielten Einsatz von Desavouierung und anderen schmutzigen rhetorischen Kniffen, um sein Gegenüber schlecht dastehen zu lassen. Nicht jeder diskutiert im Rahmen von „Elefantenrunden“ oder im Parlament, wo es schon lange nur noch darum geht, möglichst gut dazustehen, ohne dass irgendeiner der Gesprächsteilnehmer dazu bereit wäre, vom eigenen Standpunkt abzugehen (selbst wenn dieser sich als falsch herausstellen sollte).
Hier liegt ein Grundmangel unserer Gesprächskultur: Die elementaren Grundregeln der Logik sind vielen unbekannt. Die braucht es aber, um zielgerichtete und sinnvolle Diskussionen zu führen, anstatt sich verbal die Schädel einzuschlagen.
Wenig verwunderlich, die damit zusammenhängenden Fragen sind überaus emotional besetzt. Persönliche Erfahrungen, Ängste und Sorgen spielen eine große Rolle. Da bleibt die Sachlichkeit oft genug auf der Strecke.
Allein, rein emotional geführte Debatten tragen nur wenige Früchte, wenn überhaupt. Eigentlich sollte es bei Diskussionen nicht darum gehen, zu „gewinnen“, also den eigenen Willen um jeden Preis durchzusetzen. Sondern darum, eine vernünftige Lösung zu finden, mitunter überhaupt erst das Problem zu identifizieren. Und dafür braucht es weniger Emotion und mehr Logik.
Der tu quoque-Fehlschluss
Unter den unzähligen populären logischen Fehlschlüssen und sonstigen Scheinargumenten sticht mir seit je her jener des tu quoque unliebsam ins Auge. Damit meint man die Abwertung oder Zurückweisung eines Arguments durch den Verweis auf (Fehl-)Verhalten desjenigen, der es äußert (aber auch anderer). Besonders oft stößt man in Parlamenten darauf – wenn (Oppositions-)Partei A Partei B beispielsweise dafür kritisiert, nichts zu tun, um die Pensionen langfristig zu sichern und Partei B damit antwortet, dass Partei A ja das auch nicht gemacht hat, als sie in der Regierung war. Oder, um ein zweites Beispiel zu nennen, Missstände innerhalb des islamischen Raums damit relativiert oder gar zurückgewiesen werden, dass es im Christentum auch nicht so viel besser aussähe.
Das mag ja manchmal notwendig sein, um die Dinge in Perspektive zu rücken. Zu verdeutlichen, dass von Partei A wohl ebenso keine Lösung in der Pensionsfrage zu erwarten ist, sondern eher von Partei C, die ihre Glaubwürdigkeit eventuell noch nicht verspielt hat.
Oder, im zweiten genannten Fall, dass der Islam mit seinem hochproblematischen Frauenbild nicht alleine dasteht. Eine Modernisierung durchaus möglich ist, da andere Religionen ja auch Fortschritte in diesen und anderen Bereichen gemacht haben. Oder, sofern man derartige Fortschritte bestreitet, viele ihrer Anhänger sie wenigstens nicht mehr so streng leben (Stichwort Taufscheinchrist).
Mehr Logik wagen
Allein, oft genug werden Argumente und wichtige Diskussionen mit tu quoque, mit einem „ja, aber XYZ macht das auch“ regelrecht abgewürgt. Wenn Partei B sich darauf versteift, Partei A das Recht auf Kritik abspricht, wird dadurch das Pensionsproblem nicht gelöst. Dass im Namen des Christentums Verbrechen begangen werden und wurden, macht das die Verbrechen im Namen des Islam nicht besser. Die Probleme und Missstände im Bereich der einen Religion ändern nichts an den Problemen und Missständen der anderen.
Gut möglich, dass vielen gar nicht bewusst ist, dass sie oftmals logischen Trugschlüssen unterliegen. Nicht jeder praktiziert den gezielten Einsatz von Desavouierung und anderen schmutzigen rhetorischen Kniffen, um sein Gegenüber schlecht dastehen zu lassen. Nicht jeder diskutiert im Rahmen von „Elefantenrunden“ oder im Parlament, wo es schon lange nur noch darum geht, möglichst gut dazustehen, ohne dass irgendeiner der Gesprächsteilnehmer dazu bereit wäre, vom eigenen Standpunkt abzugehen (selbst wenn dieser sich als falsch herausstellen sollte).
Hier liegt ein Grundmangel unserer Gesprächskultur: Die elementaren Grundregeln der Logik sind vielen unbekannt. Die braucht es aber, um zielgerichtete und sinnvolle Diskussionen zu führen, anstatt sich verbal die Schädel einzuschlagen.
Dienstag, 23. Februar 2016
Wer ist das Volk?
"Wir sind das Volk" tönen die einen. "Das ist Pack" so manch anderer. Gerade heute zeigt sich mehr denn je, dass Sammelbegriffe, vom großen "Wir" bis hin zu "Volk" oder "die Österreicher" beziehungsweise "die Deutschen" nicht mehr so recht greifen wollen.
Die Dialektik von Masse und Individuum zieht sich als roter Faden durch die Menschheitsgeschichte. Gemeinhin heißt es, spätestens mit dem Ende des Kalten Krieges und dem "Sieg" des Kapitalismus beziehungsweise der Demokratie westlichen Musters leben "wir" (da ist es wieder) in Zeiten des Individualismus – mit allen Vor- und Nachteilen: Die Freiheit zur Entfaltung bringt auch das Gefühl von Ratlosigkeit und dem Verlorensein mit sich; Unabhängigkeit oft zur Erodierung familiärer Strukturen und dem damit einhergehenden Gefühl von Sicherheitsverlust; Konkurrenzdruck statt gemeinsamen Auftreten auf dem Arbeitsmarkt. Um nur ein paar Beispiele zu nennen.
Begriffe wie "Volk" oder auch sein Cousin, die "Nation", sind im deutschen Sprachraum spätestens seit Ende des Zweiten Weltkrieg negativ konnotiert. Die Schriften von Fichte oder Hegel lesen sich heute wie aus einer anderen Welt. Beispiel gefällig? In Fichtes Reden an die deutschen Nation etwa stößt man auf solche Passagen:
Nach allem wird der ausländische Genius die betretenen Heerbahnen des Alterthums mit Blumen bestreuen, und der Lebensweisheit, die leicht ihm für Philosophie gelten wird, ein zierliches Gewand weben; dagegen wird der deutsche Geist neue Schachten eröffnen, und Licht und Tag einführen in ihre Abgründe, und Felsmassen von Gedanken schleudern, aus denen die künftigen Zeitalter sich Wohnungen erbauen. Der ausländische Genius wird sein ein lieblicher Sylphe, der mit leichtem Fluge über den, seinem Boden von selbst entkeimten Blumen hinschwebt, und sich niederlässt auf dieselben, ohne sie zu beugen, und ihren erquickenden Thau in sich zieht; oder eine Biene, die aus denselben Blumen mit geschäftiger Kunst den Honig sammelt, und ihn in regelmässig gebauten Zellen zierlich geordnet niederlegt; der deutsche Geist einAdler, der mit Gewalt seinen gewichtigen Leib emporreisst, und mit starkem und vielgeübtem Flügel viel Luft unter sich bringt, um sich näher zu heben der Sonne, deren Anschauung ihn entzückt.
Nicht wenigen gelten Fichte und Hegel mit ihrer mythologischen Erhöhung von Volk, Nation und Staat als unfreiwillige Vorstufen zum deutschen Hypernationalismus unseliger Zeiten. Dennoch spricht freilich immer noch von "den Österreichern" oder "den Deutschen." Ebenso beinhaltet die österreichische Bundesverfassung das bekannte Postulat, wonach das Recht "vom Volk" ausgehe. Dennoch (oder gerade deswegen) herrscht gerade in Deutschland und auch in Österreich große Sensibilität, wenn einzelne Gruppen die Volkseigenschaft beziehungsweise die Deutungshoheit über den hypothetischen "Volkswillen" für sich beanspruchen wollen.
Jetzt könnte man lange darüber diskutieren, wer als Volk oder Nation anzusehen ist, welchen Inhalt dieser Begriff heute noch hat oder haben kann. Oder sich damit abfinden, dass das Volk, die Nation nicht oder nur in stark abgeschwächter Form – jedenfalls nicht im Sinne der Vordenker dieses Begriffs – existiert. Überreste sind durchaus nach wie vor vorhanden, gehören aber entsprechend adaptiert und mit Einschränkungen, zumal es an neuen Begrifflichkeiten fehlt. Wobei man nicht vergessen darf, dass es sich beim Volk oder der Nation letztlich um keine homogene Masse, sondern eine Vielzahl an Individuen handelt, die durchaus über gemeinsame Erinnerungen, Vorstellungen, Werte und Gewohnheiten "verbunden" sein können. Aber eben in beschränktem Maße: Wir oszillieren nach wie vor zwischen kollektivistischen Begriffen und Vorstellungen, in denen der einzelne in der Masse untergeht, und weitgehendem Individualismus, der – auch wenn Kritiker an dem, was man gerne als "Kapitalismus" oder "Neoliberalismus bezeichnet, gerne anderes behauptet – sich bislang ebensowenig durchgesetzt hat.
Samstag, 20. Februar 2016
Politik: Zeiten der Entfremdung?
Beim
gestrigen EU-Gipfel sorgte Angela Merkel zur Abwechslung einmal für
nicht-unmittelbar flüchtlingsbezogene Schlagzeilen. Ging sie doch in der Pause
mal eben zu einem Frittenstand. Die Fotos sprechen eine interessante Sprache: Ja, da
standsie, die deutsche Kanzlerin und mächtigste Frau Europas, wie jeder andere
Mensch auch, um sich für 3,70€ kulinarisch zu laben.
Die Szenerie bietet einen Kontrast zum negativen Bild, das viele von der gegenwärtigen Politik haben. Mit einem Male wirkt sie nicht bürgerfern und abgehoben, wenigstens für den Moment. Bis der EU-Gipfel weitergeht zumindest. Gerade Angela Merkel wird häufig mit dem Vorwurf konfrontiert, gegen ihr eigenes Volk zu regieren.
Auf die Politik zu schimpfen ist in unseren Breiten natürlich bereits seit je her Volkssport. Skandale, Korruptionsaffären, zahlreiche niveaulose Scheindebatten in den Parlamenten stehen an der Tagesordnung und erregen wenn, dann höchstens kurz Aufsehen. Man hat sich daran gewöhnt. Ob es früher besser war? Schwer zu sagen. Fest steht jedoch, dass man im Zeitalter von Internet und Web 2.0 wesentlich mehr davon mitbekommt, was später noch durch die etablierten Medien gefiltert wurde. Dinge, die man eigentlich gar nicht wissen will, zumal dadurch die Gefahr eines Magengeschwürs steigt.
Bürgerferne?
Zwischen Politik und Teilen des Volks scheint eine große Lücke zu klaffen. Viele haben schon lange das Gefühl, dass „die da oben“ ohnehin machen, was sie wollen. In ihrer eigenen Welt leben, in der ganz andere Regeln und Parameter gelten. Wo die Probleme und Schwierigkeiten des Alltags der breiten Masse und noch mehr derjenigen, die sozial ganz unten stehen, höchstens vom Hörensagen kennen, wenn überhaupt. Denn die Politik gehorcht ihren eigenen Gesetzen und ihre Akteure verfolgen eigene Ziele – die Vertretung des Volkes, das offizielle Hauptanliegen, tritt dabei gerne in den Hintergrund. Verstärkt wird dieser Eindruck durch die erkleckliche Gehälter, das Phänomen des Berufspolitikertums und die Dominanz der Parteien. Politik als Beruf ist keine Ausnahme, sondern vielfach zur Regel geworden. So bildet die Zusammensetzung des Parlaments das Volk streng genommen nicht in adäquater Weise ab, da in Österreich öffentlich Bedienstete und Bauern übermäßig stark repräsentiert während viele Abgeordnete hauptberuflich für ihre jeweilige Partei arbeiten. Ebenso gibt es nur wenige Junge (wen wundert da der Reformunwille beim maroden Pensionssystem), einen niedrigen Frauenanteil und relativ viele Akademiker.
Noch schlimmer das Bild auf EU-Ebene. Brüssel wird das weit verbreitete Bild vom bürokratischen Moloch wohl nie abschütteln können – wie auch, ab einer gewissen Anzahl von Bürgern (im Falle der EU doch um die 450 Millionen) lässt sich das wohl schlichtweg nicht vermeiden. Dasselbe Problem kennt man in den USA, wo Washington als fernes und undurchschaubares Schaltzentrum der Macht gilt, schon länger.
Small is beautiful?
Der Ruf „mehr Europa wagen“ hat insofern einen fahlen Beigeschmack. Bedeutet er doch eine zusätzliche Kompetenzabgabe „nach oben“ und eine unweigerliche Verstärkung des Eindrucks von einer Institution, die die Interessen vieler Bürger nicht gebührend würdigt, ja teilweise sogar gegen diese arbeitet (ganz unabhängig davon, ob dem wirklich so ist).
Ein möglicher Ausweg, der in die andere Richtung führt, liegt in einer Rückbesinnung auf das Kleine. Einerseits das durch etwa in Artikel 5 des Vertrags über die Europäische Union und bis auf Aristoteles zurückgehende Subsidiaritätsprinzip als Maxime der Herrschaftsausübung. Kurz gefasst besagt es, dass Maßnahmen sollen soweit wie möglich auf lokaler Nähe gesetzt werden sollen. Andererseits durch die Stärkung kleinerer politischer Einheiten, also Gemeinden, Städte, Regionen oder Bundesländer. Schließlich sind diese nicht nur näher an den Betroffenen, sondern mitunter auch wesentlich effizienter.
Spätestens seit dem Aufstieg des zentralisierten europäischen Nationalstaats – mit dem post-revolutionären Frankreich als Paradebeispiel – gelten kleinere politische Einheiten ein Symbol von Rückständigkeit. Föderalistische Systeme sind außerdem oftmals schlecht konstruiert und bringen damit einen eigentlich sinnvollen Gedanken in Verruf – bestes Beispiel ist Österreich und das Problem, dass hier Einnahmen- und Ausgabenverantwortung auseinanderlaufen. Außerdem hat das Kleine gerade in Zeiten von Globalisierung, der Bildung beziehungsweise steigenden Bedeutung großer politischer Einheiten (allen voran die EU, die USA und China, aber auch Russland oder Indien) stetig an Bedeutung verloren. Die Probleme unserer Zeit lassen sich nur auf globaler Ebene und im Rahmen der dazugehörigen Institutionen (allen voran die UNO und ihre Teilorganisationen oder die WTO) lösen, heißt es.
Blickt man auf die Ereignisse der letzten Jahre zurück, muss man sich allerdings fragen, ob es nicht an der Zeit für eine Wiederbelebung und eine Rückbesinnung auf das Kleine ist. Wie der frühere Staatschef Liechtensteins, Alexander Frick, es so treffend ausdrückte: „Bis große Staaten ein Problem überhaupt bemerken, haben wir es schon zur Hälfte gelöst.“ Small is beautiful; nicht immer, aber doch oft genug.
Die Szenerie bietet einen Kontrast zum negativen Bild, das viele von der gegenwärtigen Politik haben. Mit einem Male wirkt sie nicht bürgerfern und abgehoben, wenigstens für den Moment. Bis der EU-Gipfel weitergeht zumindest. Gerade Angela Merkel wird häufig mit dem Vorwurf konfrontiert, gegen ihr eigenes Volk zu regieren.
Auf die Politik zu schimpfen ist in unseren Breiten natürlich bereits seit je her Volkssport. Skandale, Korruptionsaffären, zahlreiche niveaulose Scheindebatten in den Parlamenten stehen an der Tagesordnung und erregen wenn, dann höchstens kurz Aufsehen. Man hat sich daran gewöhnt. Ob es früher besser war? Schwer zu sagen. Fest steht jedoch, dass man im Zeitalter von Internet und Web 2.0 wesentlich mehr davon mitbekommt, was später noch durch die etablierten Medien gefiltert wurde. Dinge, die man eigentlich gar nicht wissen will, zumal dadurch die Gefahr eines Magengeschwürs steigt.
Bürgerferne?
Zwischen Politik und Teilen des Volks scheint eine große Lücke zu klaffen. Viele haben schon lange das Gefühl, dass „die da oben“ ohnehin machen, was sie wollen. In ihrer eigenen Welt leben, in der ganz andere Regeln und Parameter gelten. Wo die Probleme und Schwierigkeiten des Alltags der breiten Masse und noch mehr derjenigen, die sozial ganz unten stehen, höchstens vom Hörensagen kennen, wenn überhaupt. Denn die Politik gehorcht ihren eigenen Gesetzen und ihre Akteure verfolgen eigene Ziele – die Vertretung des Volkes, das offizielle Hauptanliegen, tritt dabei gerne in den Hintergrund. Verstärkt wird dieser Eindruck durch die erkleckliche Gehälter, das Phänomen des Berufspolitikertums und die Dominanz der Parteien. Politik als Beruf ist keine Ausnahme, sondern vielfach zur Regel geworden. So bildet die Zusammensetzung des Parlaments das Volk streng genommen nicht in adäquater Weise ab, da in Österreich öffentlich Bedienstete und Bauern übermäßig stark repräsentiert während viele Abgeordnete hauptberuflich für ihre jeweilige Partei arbeiten. Ebenso gibt es nur wenige Junge (wen wundert da der Reformunwille beim maroden Pensionssystem), einen niedrigen Frauenanteil und relativ viele Akademiker.
Noch schlimmer das Bild auf EU-Ebene. Brüssel wird das weit verbreitete Bild vom bürokratischen Moloch wohl nie abschütteln können – wie auch, ab einer gewissen Anzahl von Bürgern (im Falle der EU doch um die 450 Millionen) lässt sich das wohl schlichtweg nicht vermeiden. Dasselbe Problem kennt man in den USA, wo Washington als fernes und undurchschaubares Schaltzentrum der Macht gilt, schon länger.
Small is beautiful?
Der Ruf „mehr Europa wagen“ hat insofern einen fahlen Beigeschmack. Bedeutet er doch eine zusätzliche Kompetenzabgabe „nach oben“ und eine unweigerliche Verstärkung des Eindrucks von einer Institution, die die Interessen vieler Bürger nicht gebührend würdigt, ja teilweise sogar gegen diese arbeitet (ganz unabhängig davon, ob dem wirklich so ist).
Ein möglicher Ausweg, der in die andere Richtung führt, liegt in einer Rückbesinnung auf das Kleine. Einerseits das durch etwa in Artikel 5 des Vertrags über die Europäische Union und bis auf Aristoteles zurückgehende Subsidiaritätsprinzip als Maxime der Herrschaftsausübung. Kurz gefasst besagt es, dass Maßnahmen sollen soweit wie möglich auf lokaler Nähe gesetzt werden sollen. Andererseits durch die Stärkung kleinerer politischer Einheiten, also Gemeinden, Städte, Regionen oder Bundesländer. Schließlich sind diese nicht nur näher an den Betroffenen, sondern mitunter auch wesentlich effizienter.
Spätestens seit dem Aufstieg des zentralisierten europäischen Nationalstaats – mit dem post-revolutionären Frankreich als Paradebeispiel – gelten kleinere politische Einheiten ein Symbol von Rückständigkeit. Föderalistische Systeme sind außerdem oftmals schlecht konstruiert und bringen damit einen eigentlich sinnvollen Gedanken in Verruf – bestes Beispiel ist Österreich und das Problem, dass hier Einnahmen- und Ausgabenverantwortung auseinanderlaufen. Außerdem hat das Kleine gerade in Zeiten von Globalisierung, der Bildung beziehungsweise steigenden Bedeutung großer politischer Einheiten (allen voran die EU, die USA und China, aber auch Russland oder Indien) stetig an Bedeutung verloren. Die Probleme unserer Zeit lassen sich nur auf globaler Ebene und im Rahmen der dazugehörigen Institutionen (allen voran die UNO und ihre Teilorganisationen oder die WTO) lösen, heißt es.
Blickt man auf die Ereignisse der letzten Jahre zurück, muss man sich allerdings fragen, ob es nicht an der Zeit für eine Wiederbelebung und eine Rückbesinnung auf das Kleine ist. Wie der frühere Staatschef Liechtensteins, Alexander Frick, es so treffend ausdrückte: „Bis große Staaten ein Problem überhaupt bemerken, haben wir es schon zur Hälfte gelöst.“ Small is beautiful; nicht immer, aber doch oft genug.
Freitag, 19. Februar 2016
Der Flüchtlingsbegriff: Wenn alle aneinander vorbereiden
Die Flüchtlingskrise wird uns auf unbestimmte Zeit beschäftigen. Was,
auch wenn viele das Thema bereits nervt, in der Natur der Sache liegt.
Schließlich werden dabei essentielle, emotionale Fragen berührt: Demographische
Veränderung, Rückbau des Sozialstaats, Integration, die Sorge vor
Islamisierung, Destabilisierung, ja sogar vor Unruhen und Konflikten. Umso
drängender die Notwendigkeit, ein wenig Klarheit zu schaffen (oder es zumindest
zu versuchen). Oft genug reden die Menschen schlichtweg aneinander vorbei.
Das zeigt sich bereits beim Begriff des Flüchtlings, der – so scheint es
jedenfalls – seine als zu negativ behaftet angesehenen Vorgänger wie „Asylant“
oder „Asylwerber“ (Österreich)/Asylbewerber (Deutschland) oft abgelöst hat. Die
damit verbundene Verwirrung hat sich etwa letzte Woche gezeigt, als zahlreiche Medien stark
verkürzend meldeten, dass nur drei der im Zusammenhang mit den Übergriffen in
Köln festgenommenen Männern Flüchtlinge seien (dazu später mehr). Nachfolgend soll daher versucht werden, ein
wenig Klarheit zu schaffen.
Der Flüchtlingsbegriff
Wie mittlerweile selbst jene mit großen Aversionen gegenüber der
Juristerei wissen, findet man die Flüchtlingsdefinition in der Genfer
Flüchtlingskonvention von 1951 in Verbindung mit ihrem Zusatzprotokoll von 1967
(durch die die zeitliche Einschränkung wegfiel): Als solcher gilt, wer
aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen ihrer Rasse, Religion,
Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen
ihrer politischen Überzeugung sich außerhalb des Landes befindet, dessen
Staatsangehörigkeit sie besitzt, und den Schutz dieses Landes nicht in Anspruch
nehmen kann oder wegen dieser Befürchtungen nicht in Anspruch nehmen will; oder
die sich als staatenlose infolge solcher Ereignisse außerhalb des Landes
befindet, in welchem sie ihren gewöhnlichen Aufenthalt hatte, und nicht dorthin
zurückkehren kann oder wegen der erwähnten Befürchtungen nicht dorthin
zurückkehren will.
Drei Missverständnisse im Zusammenhang mit der Flüchtlingsdefinition
Nachfolgend sollen drei oft wiederkehrende juristische Missverständnisse
aufgeklärt werden. Erstens geht die Flüchtlingseigenschaft nicht durch die
Flucht in ein sicheres Land verloren; entscheidend ist vielmehr, dass man sich
außerhalb des Heimatlandes befindet. Soll heißen: Wenn jemand in Syrien aus den
oben genannten Gründen verfolgt wird und in die Türkei flüchtet, bleibt er
dennoch Flüchtling, unabhängig davon, ob und wie sicher es in der Türkei ist
beziehungsweise ob er auf dem Weg nach Österreich oder Deutschland zahlreiche
sichere Länder durchquert hat. Unabhängig, wie man dazu steht, so lautet die
gegenwärtige Rechtslage.
Das zweite Missverständnis betrifft die Wortschöpfung „Kriegsflüchtling“: Jemand, der aus einem Land flieht,
in dem Krieg herrscht, ist nicht automatisch beziehungsweise notwendigerweise
ein Flüchtling. Allerdings beinhaltet Artikel 33 der Genfer
Flüchtlingskonvention das Verbot, jemanden in ein Land zurückzuschicken, in dem
„sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion,
Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe
oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht sein würde.“ – außer, wenn
der Betroffene „eine Gefahr für die Sicherheit des Landes anzusehen ist, in dem
er sich befindet, oder der eine Gefahr für die Allgemeinheit dieses Staates
bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder eines besonders schweren
Vergehens rechtskräftig verurteilt wurde“ (Absatz 2). Aufgrund von Artikel 3
der Europäischen Menschenrechtskonvention darf der Betroffene laut dem
Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte jedoch selbst dann, wenn Absatz
zwei erfüllt ist, nicht zurückgeschickt werden, wenn ihm im Zielland Folter,
unmenschliche oder erniedrigende Behandlung drohen.
Der langen Rede kurzer Sinn: Selbst wenn jemand aus Syrien nicht
unbedingt die Flüchtlingseigenschaft im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention
erfüllt, darf er nicht dorthin zurückgeschickt werden. Darüber hinaus ist die
Wahrscheinlichkeit, aus einem der dort genannten Gründe verfolgt zu werden, zu
Kriegszeiten ungleich höher.
Das letzte Missverständnis betrifft den Beginn der
Flüchtlingseigenschaft. Das Asylverfahren begründet diese nicht, sondern
bestätigt sie. Flüchtling ist man bereits, sobald Artikel 1 der Genfer
Flüchtlingskonvention erfüllt ist, unabhängig von jedwedem Verfahren. Umgekehrt
fällt dieser Status grundsätzlich weg, sobald jemand beispielsweise in sein
Heimatland zurückkehrt oder die Umstände, die die Flüchtlingseigenschaft
begründet haben, wegfallen und er es nicht mehr ablehnen kann, den Schutz des
Heimatlandes in Anspruch zu nehmen.
Asylwerber oder Flüchtling?
Auf die eingangs genannte Meldung bezogen bedeutet das Folgendes: Es ist
in der Tat gut möglich, dass es sich nur bei einem Bruchteil der
Tatverdächtigen der Übergriffe von Köln tatsächlich um Flüchtlinge handelt;
wohl aber sind jene, die Asyl beantragt haben, während des laufenden Verfahrens
Asylwerber (die wohl nur geringe Chancen auf Anerkennung als Flüchtling haben).
Jetzt könnte man gerade deswegen darauf plädieren, allgemein von „Asylwerbern“
zu sprechen – was jedoch umgekehrt das Problem mit sich bringt, dass
Flüchtlinge in der Wahrnehmung und entgegen der Rechtslage nicht als solche
wahrgenommen werden, ehe sie nicht nach Abschluss ihres Asylverfahrens als
solche juristisch anerkannt wurden. Wie man’s macht, man macht es falsch.
Das Ganze lässt sich zum Abschluss auch in einen breiteren Kontext
bringen. Ich wage zu behaupten, dass so manche „Asylkritiker“ gar kein
grundsätzliches Problem mit der Aufnahme von Flüchtlingen haben, selbst wenn es
sehr viele sein sollten. Die Sorgen und die darauf basierende Ablehnung rühren
eher daher, dass eben nicht nur tatsächliche Flüchtlinge Asyl beantragen,
sondern auch viele, die sich in Europa ein gutes beziehungsweise besseres Leben
erhoffen, ohne in ihrer Heimat verfolgt zu werden. Was aus der individuellen
Perspektive zwar nachvollziehbar ist, letzten Endes aufgrund der Vielzahl an
Antragstellern und der Reaktion der europäischen Staaten darauf jedoch das
gesamte Asylrecht ins Wanken bringen könnte. Womit keinem geholfen wäre.
Donnerstag, 18. Februar 2016
Die Zeit, die bleibt
Zeit ist ein knappes Gut, sagt die Binsenweisheit; mit wem und womit man sie verbringt, will gut überlegt sein. Nur allzu verlockend das Versteck hinter der Phrase, keine Zeit zu haben, weil man sie irgendwie auch gar nicht haben möchte. Gemeint sind jene, die unter Urlaub Kurzurlaub verstehen; Städtetrips, zwei Tage, vielleicht drei. Die bei Einladungen reflexartig mit "schaun wir mal", "ich kann noch nicht fix zusagen" und Ähnlichem antworten. Die selbst die Mittagspause am Arbeitsplatz verbringen und auch am Wochenende arbeiten. Denen vor der Zeit abseits vom Arbeitsplatz regelrecht graut. Aber auch jene, denen die Zeit buchstäblich davonläuft, sobald sie den strengen Augen der Vorgesetzten entkommen konnten.
Der natürliche Umgang mit der Zeit ist kein Leichtes. Was verschiedene Gründe hat, zwei seien hervorgehoben: Einerseits die Angst, etwas zu verpassen (man spricht von "FOMO", Fear Of Missing Out). Überall lauern Events aller Art, von Diskussionsveranstaltungen und Ausstellungen über Restauranteröffnungen bis hin zu den vielen Späßen nach 23h und später. Was dann dazu führt, dass man entweder an keinem der gewählten Orte glücklich wird (weil es ja noch unzählige andere zur Auswahl gegeben hätte, wo es doch vielleicht besser ist) oder es gleich bleiben lässt. Wie uns die Verhaltensökonomik lehrt, führt ein Überangebot zu weniger Konsum beziehungsweise umgekehrt eine geringere Auswahl zu mehr. Gut möglich, dass das nicht nur für Produkte, sondern auch für die Gestaltung unserer Freizeit gilt.
Zweitens der Drang zu beruflicher Selbstverwirklichung, für die man viel in Kauf nimmt. Viele oszillieren zwischen „Selbstausbeutung“ zwecks Erreichung eines selbstgesetzten beruflichen Ideals und der Notwendigkeit von Erholung. Arbeit verstanden als wenig inspirierende, aber nun einmal notwendige und streng von der Freizeit getrennte Tätigkeit ist dem Beruf im Sinne von „Berufung“ gewichen. Von Berufung kann man dann sprechen, wenn man sein Geld mit etwas verdient, das man eigentlich auch gratis oder auch für wesentlich weniger Geld machen würde – eben, weil es einem Freude bereitet. Ein Ideal, für das man sehr viel zu tun gewillt ist. Nur logisch, dass die Grenze zwischen Arbeit und Freizeit hier fließend, im schlimmsten Fall auf Kosten von letzterer verläuft: „Wenn ich nur lange genug hart genug daran arbeite, werde ich irgendwann da und dort sein, dieses und jenes machen und dann wird alles gut“ – eine Vorstellung, die sich vielfach als Trugschluss entpuppt. Zumal dann die Frage folgt, ob das erreichte Ziel die dafür eingesetzten Anstrengungen und Mittel tatsächlich wert war. Wenn man erst dann merkt, wie viel man auf dem Weg dorthin eigentlich aufgegeben beziehungsweise nicht ausreichend beachtet hat – Kontakt mit Verwandtschaft und Freunden, Familiengründung oder ein geliebtes Hobby.
Die Auswege aus dem Dilemma mit der Zeit sind vielfältig. Manche laufen geradewegs ins Burnout; wenn Körper und Geist durch Arbeitsverweigerung gewaltsam den Raum nehmen, der ihnen zu lange vorenthalten wurde. Um gar nicht erst dorthin zu kommen suchen andere sich Hobbies, die nur bedingt etwas mit dem Beruf zu tun haben; an jeder Ecke eine Crossfit-Box oder ein Fitness-Center, für die gemütlicheren gibt es Malerei- und Töpferkurse (selbst häkeln und stricken sind wieder en vogue).
Oder man gönnt sich dann doch ab und an eine Auszeit in den unterschiedlichsten Formen: Thermenbesuche, Entschlackungskurse, Wanderungen. Vielleicht steigt man auch in den Flieger, um mal „ganz was Neues“ zu erleben: Indien, Laos, Kambodscha und Thailand stehen da hoch im Kurs. Um zumindest temporär ein Höhegefühl zu erleben und das Gefühl zu haben, die Dinge in Perspektive zu rücken. Ein Esprit, der oft nur bis zum ersten Kontakt mit dem Wienerischen bei der Rückkehr anhält. Daheim kann man dann wenigstens noch erzählen "wie erfrischen anders" die Kultur und die Menschen dort nicht sind.
Am Ende steht die nüchterne Erkenntnis: Man wird immer etwas verpassen und man wird immer etwas falsch machen, egal, wie man mit einer Zeit umgeht. Aber man wird auch etwas erleben und auch etwas richtig machen. Jede Entscheidung für etwas bedeutet ja zugleich auch eine Entscheidung gegen etwas und umgekehrt. Was aber immer noch besser ist, als gar keine zu treffen.
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