Die Flüchtlingskrise wird uns auf unbestimmte Zeit beschäftigen. Was,
auch wenn viele das Thema bereits nervt, in der Natur der Sache liegt.
Schließlich werden dabei essentielle, emotionale Fragen berührt: Demographische
Veränderung, Rückbau des Sozialstaats, Integration, die Sorge vor
Islamisierung, Destabilisierung, ja sogar vor Unruhen und Konflikten. Umso
drängender die Notwendigkeit, ein wenig Klarheit zu schaffen (oder es zumindest
zu versuchen). Oft genug reden die Menschen schlichtweg aneinander vorbei.
Das zeigt sich bereits beim Begriff des Flüchtlings, der – so scheint es
jedenfalls – seine als zu negativ behaftet angesehenen Vorgänger wie „Asylant“
oder „Asylwerber“ (Österreich)/Asylbewerber (Deutschland) oft abgelöst hat. Die
damit verbundene Verwirrung hat sich etwa letzte Woche gezeigt, als zahlreiche Medien stark
verkürzend meldeten, dass nur drei der im Zusammenhang mit den Übergriffen in
Köln festgenommenen Männern Flüchtlinge seien (dazu später mehr). Nachfolgend soll daher versucht werden, ein
wenig Klarheit zu schaffen.
Der Flüchtlingsbegriff
Wie mittlerweile selbst jene mit großen Aversionen gegenüber der
Juristerei wissen, findet man die Flüchtlingsdefinition in der Genfer
Flüchtlingskonvention von 1951 in Verbindung mit ihrem Zusatzprotokoll von 1967
(durch die die zeitliche Einschränkung wegfiel): Als solcher gilt, wer
aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen ihrer Rasse, Religion,
Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen
ihrer politischen Überzeugung sich außerhalb des Landes befindet, dessen
Staatsangehörigkeit sie besitzt, und den Schutz dieses Landes nicht in Anspruch
nehmen kann oder wegen dieser Befürchtungen nicht in Anspruch nehmen will; oder
die sich als staatenlose infolge solcher Ereignisse außerhalb des Landes
befindet, in welchem sie ihren gewöhnlichen Aufenthalt hatte, und nicht dorthin
zurückkehren kann oder wegen der erwähnten Befürchtungen nicht dorthin
zurückkehren will.
Drei Missverständnisse im Zusammenhang mit der Flüchtlingsdefinition
Nachfolgend sollen drei oft wiederkehrende juristische Missverständnisse
aufgeklärt werden. Erstens geht die Flüchtlingseigenschaft nicht durch die
Flucht in ein sicheres Land verloren; entscheidend ist vielmehr, dass man sich
außerhalb des Heimatlandes befindet. Soll heißen: Wenn jemand in Syrien aus den
oben genannten Gründen verfolgt wird und in die Türkei flüchtet, bleibt er
dennoch Flüchtling, unabhängig davon, ob und wie sicher es in der Türkei ist
beziehungsweise ob er auf dem Weg nach Österreich oder Deutschland zahlreiche
sichere Länder durchquert hat. Unabhängig, wie man dazu steht, so lautet die
gegenwärtige Rechtslage.
Das zweite Missverständnis betrifft die Wortschöpfung „Kriegsflüchtling“: Jemand, der aus einem Land flieht,
in dem Krieg herrscht, ist nicht automatisch beziehungsweise notwendigerweise
ein Flüchtling. Allerdings beinhaltet Artikel 33 der Genfer
Flüchtlingskonvention das Verbot, jemanden in ein Land zurückzuschicken, in dem
„sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion,
Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe
oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht sein würde.“ – außer, wenn
der Betroffene „eine Gefahr für die Sicherheit des Landes anzusehen ist, in dem
er sich befindet, oder der eine Gefahr für die Allgemeinheit dieses Staates
bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder eines besonders schweren
Vergehens rechtskräftig verurteilt wurde“ (Absatz 2). Aufgrund von Artikel 3
der Europäischen Menschenrechtskonvention darf der Betroffene laut dem
Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte jedoch selbst dann, wenn Absatz
zwei erfüllt ist, nicht zurückgeschickt werden, wenn ihm im Zielland Folter,
unmenschliche oder erniedrigende Behandlung drohen.
Der langen Rede kurzer Sinn: Selbst wenn jemand aus Syrien nicht
unbedingt die Flüchtlingseigenschaft im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention
erfüllt, darf er nicht dorthin zurückgeschickt werden. Darüber hinaus ist die
Wahrscheinlichkeit, aus einem der dort genannten Gründe verfolgt zu werden, zu
Kriegszeiten ungleich höher.
Das letzte Missverständnis betrifft den Beginn der
Flüchtlingseigenschaft. Das Asylverfahren begründet diese nicht, sondern
bestätigt sie. Flüchtling ist man bereits, sobald Artikel 1 der Genfer
Flüchtlingskonvention erfüllt ist, unabhängig von jedwedem Verfahren. Umgekehrt
fällt dieser Status grundsätzlich weg, sobald jemand beispielsweise in sein
Heimatland zurückkehrt oder die Umstände, die die Flüchtlingseigenschaft
begründet haben, wegfallen und er es nicht mehr ablehnen kann, den Schutz des
Heimatlandes in Anspruch zu nehmen.
Asylwerber oder Flüchtling?
Auf die eingangs genannte Meldung bezogen bedeutet das Folgendes: Es ist
in der Tat gut möglich, dass es sich nur bei einem Bruchteil der
Tatverdächtigen der Übergriffe von Köln tatsächlich um Flüchtlinge handelt;
wohl aber sind jene, die Asyl beantragt haben, während des laufenden Verfahrens
Asylwerber (die wohl nur geringe Chancen auf Anerkennung als Flüchtling haben).
Jetzt könnte man gerade deswegen darauf plädieren, allgemein von „Asylwerbern“
zu sprechen – was jedoch umgekehrt das Problem mit sich bringt, dass
Flüchtlinge in der Wahrnehmung und entgegen der Rechtslage nicht als solche
wahrgenommen werden, ehe sie nicht nach Abschluss ihres Asylverfahrens als
solche juristisch anerkannt wurden. Wie man’s macht, man macht es falsch.
Das Ganze lässt sich zum Abschluss auch in einen breiteren Kontext
bringen. Ich wage zu behaupten, dass so manche „Asylkritiker“ gar kein
grundsätzliches Problem mit der Aufnahme von Flüchtlingen haben, selbst wenn es
sehr viele sein sollten. Die Sorgen und die darauf basierende Ablehnung rühren
eher daher, dass eben nicht nur tatsächliche Flüchtlinge Asyl beantragen,
sondern auch viele, die sich in Europa ein gutes beziehungsweise besseres Leben
erhoffen, ohne in ihrer Heimat verfolgt zu werden. Was aus der individuellen
Perspektive zwar nachvollziehbar ist, letzten Endes aufgrund der Vielzahl an
Antragstellern und der Reaktion der europäischen Staaten darauf jedoch das
gesamte Asylrecht ins Wanken bringen könnte. Womit keinem geholfen wäre.
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