Trifon Iwanow ist heute im Alter von gerade einmal 50 Jahre verstorben.
Der Bulgare mit dem charakteristischen Bartwuchs steht wie kaum ein anderer für
den österreichischen Fußball der Mitt-1990er Jahre, genauer gesagt der damals
höchst erfolgreichen Rapid-Mannschaft. Für viele eine prägende Zeit. Mehr als
genug Anlass zum Sinnieren.
Kultfigur Iwanow
Trifon Iwanow erlangte im Zuge der WM von 1994 als Mitglied des damals
überraschend bis ins Halbfinale avancierten bulgarischen Nationalteams internationale
Bekanntheit. Als er bei Rapid Wien anheuerte war er den meisten daher schon ein
Begriff, eine Seltenheit bei Neuverpflichtungen österreichischer Fußballvereine
(von so manchen abgehalfterten Ex-Stars abgesehen; man erinnere sich an Giuseppe
Giannini, Hugo Sanchez oder auch Dejan Savićević). Was freilich daran lag, dass
er seine Karrierechancen mit immer wiederkehrenden disziplinären Probleme
erheblich einschränkte. Österreich, das war und ist ja nicht unbedingt ein
fußballerisches Traumziel.
Iwanow hat sich neben dem kultigen Äußeren – der bereits erwähnte
Bartwuchs in Kombination mit seinen bis in den Nacken reichenden Haaren (eine
sogenannte Gnackmattn) und dem unverkennbaren Schlafzimmerblick – vor allem mit
zwei Aktionen ins kollektive Gedächtnis der nicht mehr ganz so jungen
österreichischen Fußballfans eingebrannt. Seine Vorarbeit zum 2:0 gegen Sporting Lissabon im mittlerweile abgeschafften "Cup der Cupsieger"-Bewerb
1995/96 (O-Ton Hans Krankl, damals Co-Kommentator: "der Iwanov als
selbsternannte Sturmspitze hat das Tor möglich gemacht" ) und sein aus dem
Nichts abgefeuerter Weitschuss im entscheidenden Meisterschaftsspiel gegen Sturm Graz in
der gleichen Saison (und das, obwohl er nicht einmal zu einem Tor geführt hat). Rapid erreichte in besagtem Bewerb das Finale und wurde
österreichischer Meister.
Die guten alten 90er
In dieser Saison war ich gerade einmal 10 Jahre alt. Das Spiel gegen
Sporting Lissabon habe ich vor dem Fernseher erlebt. Die Portugiesen waren
eigentlich eine Übermacht und kaum jemand hat gedacht, dass Rapid (noch)
weiterkommen würde. Der Erfolg und der dahinterstehende Kämpferwille gilt als
eines der Paradebeispiele für den Mythos vom "Rapid-Geist". Beim 2:0
gegen Sturm Graz war ich sogar im Stadion, nach Abpfiff durfte ich als Teil der
euphorisierten Masse hinunter zum Spielfeld. Mit dem legendären grünweißen
Dress aus der Zeit. Vorne Avanti, hinten die Nummer 7, inklusive Namensaufdruck
(Christian Stumpf; weil er so "groß und stark" war), obwohl das
damals, soweit ich weiß, noch nicht üblich war. Just an jenem Tag gekauft, an
dem Christian Stumpf besagte Vorlage verwertet hat. Ich war vorm Fernseher so
stolz, als wäre ich der eigentliche Torschütze. Damals brauchte es nicht viel
und schon gar keine eigene Leistung.
Beim Lesen des Tweets von seinem Tod sind diese und andere Erinnerungen
wieder hochgekommen. An das rotblaue Oldschool-Rapid-Auswärtsdress. Daran, wie
begeisterungsfähig man in diesem Alter doch ist. An Stickeralben, Sportmagazine
aller Art und den Katalog vom Fanshop-Strobl. Zu Weihnachten ein Dress (also
Trikot, Hose und Stutzen!), zum Geburtstag Fußballschuhe, Schienbeinschoner und
Torwarthandschuhe (weil die Dressen doch sehr teuer waren, musste bisweilen
eine "Fälschung" vom Naschmarkt ausreichen, für die man sich vor
anderen geniert hat).
An Matches in Wiener Parks, wo man ab und an auch Watschen von anderen
Kids bekommen hat, die diesen in numerischer Überlegenheit und der Gewissheit
des Rückhalts älterer Brüder als ihr Revier betrachteten.
Das allgemeine Faible für Fußballer, die Suche nach Idolen. Meins war
beispielsweise Michael Konsel; wie gesagt, ich spielte gern im Tor, wenn auch
eher schlecht (erst ab ca. 15 herum konnte ich mich vom "Eiergoalie"
zu einem, wie ich mir zumindest einrede, halbwegs passablen Torhüter mausern).
Im Zuge der EM 2008 hatte ich die Gelegenheit, kurz mit ihm zu plaudern. Konnte
ihm leicht angeheitert und mit einem kleinen Rest kindlicher Nervosität meine
damalige Bewunderung gestehen. Zwei, drei irgendwie seltsam anmutende Fotos
sind dabei auch entstanden (zum Glück war die Kompaktkamera dabei).
Fußball: Eine gemeinsame Sprache
Fußball, das konnte man heute etwa auf Facebook, in Foren, den
Kommentaren unter den Artikeln oder Twitter einmal mehr sehen, verbindet. Man
denke nur an die Coca Cola Werbung zur EM 2008. Zwei Männern, die gemeinsam in
einem Zugabteil sitzen; auch wenn sie keine gemeinsame Sprache sprechen,
kommunizieren sie hervorragend: Durch die simple Erwähnung von großen
Fußballern, gefolgt mit einem "ooooh" als Ausdruck der Begeisterung.
Ja, so funktioniert das wirklich, selbst erlebt, unabhängig von gemeinsamer
Sprache, quer durch Schichten und Kulturen. Egal, ob beim Bundesheer oder
Taxifahrten in fern und weniger fern gelegenen Ländern.
Die Nennung von Namen, vorzugsweise aus einer prägenden Zeit, löst bei
Fuballfans unweigerlich eine Reihe von Assoziationen aus. Ich muss neben der
damaligen Rapidmannschaft (vermutlich, weil eingangs von der WM 1994 die Rede
war), etwa an Roberto Baggio und seinen im Finale verschossenen Elfmeter 1994
denken; an mein zweites Torwartidol Oliver Kahn und daran, wie er Andreas
Herzog ("unseren" Andi! Die Zehe der Nation!) gewürgt hat, aber auch
daran, dass er beim Karlsruher SC im Tor stand, als dieser von der damaligen
Austria Salzburg aus dem UEFA-Cup geworfen wurde. Viele andere Namen und damit
einhergehende Episoden kommen in den Sinn, drei seien noch genannt. Toni
"Rambo" Pfeffer und sein legendäres Interview bei der 0:9-Niederlage
gegen Spanien. Andreas Ogris Stirn an Stirn mit Didi Kühbauer. Ivica
Vastic, Teil des "magischen Dreiecks" bei Sturm Graz, wahnsinnig
guter Techniker, aber Schwalbenkönig. Das Spiel mit der fußballerischen
Nostalgie könnte man jetzt ewig so weiterspielen. Der Tod von Trifon Iwanow hat
wohl bei so einigen ähnliche Auswirkungen mit sich gebracht: Einen "walk
on the memory lane" der 1990er mitsamt den damit verbundenen Mannschaften,
Einzelspielern und anderen höchstpersönlichen (Fußball-)Erfahrungen.
Der Tod und die großen Fragen
Bei so manchem hat der frühe Tod von Trifon Iwanow vielleicht auch ein
weitergehendes Grübeln ausgelöst. Über die mit so manchem Todesfall
wiederkehrenden (für mich persönlich erst vor wenigen Tagen anlässlich des Tods von Roger Willemsen) großen Themen unseres Daseins: Die eigene und allgemeine
Vergänglichkeit, der möglicherweise nicht mehr so weit entfernte Tod naher
Verwandter; daran, dass man vielleicht mal wieder die eigenen Großeltern
besuchen oder wenigstens öfter anrufen sollte (Selbiges gilt mitunter auch für
die Eltern). Die mit fortschreitendem Alter immer schneller vergehende Zeit.
Das große "was kommt danach", ob es ein solches überhaupt gibt und wenn
ja, wie es aussieht. Oder auch, wie man seine Zeit verbringen möchte
beziehungsweise sollte: Das gute Leben, das
schon Aristoteles untersucht und beschrieben hat. Von der Frage aller Fragen,
also dem Sinn des Lebens, ganz zu schweigen (zur Not bleibt das allgemein
bekannte 42).
Es gibt natürlich keine allgemein gültigen und in jedem Falle
zufriedenstellenden Antworten. Gerade deshalb tragen wir diese Fragen ja auch
ein Leben lang mit uns herum, wobei sie sich tendenziell nur bei konkreten
Anlässen stellen (dann dafür umso drängender). Eben beispielsweise dann, wenn
ein Fußballer stirbt. Zumindest so lange, bis die nächste Ablenkung kommt. Und
die gibt es ja gerade heute in Hülle und Fülle. Morgen findet zum Beispiel das
nächste Wiener Derby statt.
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