Vor
ziemlich genau 5 Jahren veröffentlichte Stéphane Hessel seine Kampfschrift Empört Euch! (Indignez-yous!),
ein Aufruf, den er mit zahlreichen Missstände – vom globalen Wirtschafts- und
Finanzsystem über die verfehlte Sozial- über Entwicklungspolitik bis hin zum
Umweltschutz – begründete. Nachdem seine Worte damals einige Wochen lang für
Aufsehen sorgten und Anlass für unzählige Diskussionen gaben, sind sie
letztlich ebenso versandet wie sein diffuser Aufruf, Widerstand zu leisten. Bleibt
die Frage, ob wir das Empören einmal mehr wieder verlernt oder zumindest
vergessen haben; und wieso auf die Empörung oft nichts weiter folgt. Ob wir uns
gar zu viel empören?
Anlass zur Empörung
Anlässe zur Empörung
gibt es freilich immer zur Genüge. Die von Hessel genannten Probleme bestehen
nach wie vor beziehungsweise haben sie sich verschärft. Auch wenn Politiker
gerne anderes behaupten: Die Wirtschaftskrise ist nicht beendet, ganz im
Gegenteil. Vielmehr wird sie seit geraumer Zeit verschoben bis verschleppt (das
langsame Dahinsiechen seit 2008 erinnert an die wirtschaftliche Situation in Japan
seit den 1990er Jahren, wobei dort weniger sozialer Sprengstoff gelagert ist). Kaum
verwunderlich, dass die Menschen heute über weniger
Geld verfügen als 2007. Allgemein besteht die Gefahr, dass die damals und
bis heute getroffenen Maßnahmen das Ausmaß der Krise letzten Endes vergrößert haben
und ein neuerliches Ausbrechen die Auswirkungen von 2008 in den Schatten
stellen werden.
Dazu sind neue
Probleme getreten, etwa die HYPO-Saga und vor allem die Asylkrise. Wie die
enorme Polarisierung in dieser Angelegenheit gezeigt hat, interessanterweise
unabhängig davon, wie man zu diesem Thema steht.
Und dann noch die
vielen kleinen Dinge, an die wir uns schon gewöhnt haben. Wenn man etwa bei Dossier
von den Unsummen liest, die von Regierung, Parteien oder staatsnahen bis
staatlichen Unternehmen für Inserate ausgegeben werden; das Einzahlen des ÖH-Beitrags
zu Semesterbeginn, der einen über den Zustand der ÖH und der österreichischen
Hochschulen sinnieren lässt (erinnert sich noch jemand an die
Audimax-Besetzung? Was hat sich seitdem getan?); die anlässlich jeder neuen
Budgetrede schwindende Hoffnung, an die Wortformel der sicheren Pensionen zu
glauben (heuer werden 340
Millionen € zusätzlich zugeschossen).
„The
revolution will not be televised“
Meistens bleibt es
jedoch bei der Empörung. Man denke an die HYPO-Saga: Hier ist am Ende des Tages
nichts geschehen, wiewohl ein für österreichische Verhältnisse erstaunlich
lautes Raunen durch die Medienwelt ging. Ja, man hat geschimpft, manche sind sogar
Hessels Aufruf gefolgt und in den Steuerstreik
getreten. Aber im Großen und Ganzen ist die Bevölkerung ruhig geblieben,
lediglich 600
Personen haben etwa für einen HYPO-U-Ausschuss demonstriert. Gerade hier
hat sich einmal mehr gezeigt, wie viel wir alle uns gefallen lassen, solange der
Lebensstandard nicht maßgeblich leidet. Mit anderen Worten: Solange der
Österreicher am Sonntag sein Schnitzer’l am Tisch hat, revoltiert er nicht. Dann
bleibt es bei der reinen Empörung, auf die nichts weiter folgt. Bloße Zahlen,
selbst wenn es sich um unfassbare 19 Milliarden € Kosten handelt, sind eben zu
kalt um tiefgreifende Emotionen zu wecken.
Vielleicht ist Empörung
dem aktiven Handeln oft sogar abträglich. „The
revolution will not be televised“ hieß es bereits um 1970 herum: Vielleicht
begünstigt das Verfassen von Blogeinträgen und das Teilen von kritischen Artikeln
via Facebook, Twitter und ähnlichem sogar die Passivität. Bekommt man doch das
Gefühl, nicht gänzlich schweigsam alles hinzunehmen. Zumindest Dampf abgelassen
zu haben. Spürt dadurch, mit seinem Ärger nicht allein zu sein, womit es
irgendwann dann doch einmal reicht und die angestaute Empörung sich doch noch entladen
wird. Durchaus denkbar, dass die daraus resultierende tägliche Konfrontation
mit unzähligen Missständen aller Art aber auch einfach nur in das Gefühl von
Ohnmacht mündet.
Ohnmacht züchtet Wut,
heißt es; aber Wut bewirkt nur selten Positives. Davon abgesehen – und hier
schließt sich der Kreis – führt Ohnmacht meistens jedoch zu Resignation: „Weil’s
eh nichts bringt.“ So gesehen gilt es sich zu fragen, ob wir mit unserer
Empörung sorgsamer umgehen sollten, um sie nicht gänzlich zu verlieren.
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