Seit über einem Jahr fliegen
zahlreiche Staaten Luftangriffe gegen die im Irak und Syrien gelegenen
Stellungen des „Islamischen Staats“. Die bisherigen Erfolge sind relativ
bescheiden. Darüber hinaus treffen die Angriffe zahlreiche Unschuldige,
womit die Saat für die Terroristen von morgen gestreut werden könnte.
Der Einsatz von Bodentruppen wird aufgrund der damit einhergehenden
Gefahren für die eigenen Soldaten indes nach wie vor ausgeschlossen. Die langfristigen Auswirkungen sind nicht absehbar.
Das neue Kriegsbild
Der Krieg hat sich in den letzten
Jahrzehnten stark gewandelt. Das allen voran durch die Schriften des
preußischen Generals und Militärtheoretiker geprägte Bild von
staatlichen Massenarmeen, die sich auf einem Schlachtfeld
gegenüberstehen, hat keine Gültigkeit mehr. Die Kriege unserer Zeit
werden von irregulären, oftmals nicht einmal uniformierten Kombattanten
mit einfach zu bedienenden und leicht verfügbaren Waffen – symbolisiert
durch die AK-47 – geführt. Sofern sie nicht ausschließlich einander
bekämpfen – wie etwa in Somalia – stehen sie staatlichen Armeen mit
oftmals veralteten Gerätschaften gegenüber, die ursprünglich für die
Konfrontation mit anderen Staaten ausgebildet wurden. Daher geraten
Zivilisten unvermeidlich ins Visier – oft werden sie etwa sie als
„menschliche Schutzschilder“ missbraucht, um damit die technologische
Unterlegenheit wettzumachen. Den staatlichen Streitkräften wiederum
fehlt es am know how, oft aber auch am Willen, hier bestmöglich zu
unterscheiden.
Der „Kampf von Mogadischu“
In derartigen Konflikten
beschränken sich Interventionen von außen in der Regel auf finanzielle
Mittel, Waffenlieferungen und Ausbildungsprogramme, mitunter – zumeist
allerdings erst, sobald die Lage einigermaßen beruhigt ist – auch auf
Friedenstruppen der Vereinten Nationen. Ein darüber hinausgehendes
direktes militärisches Eingreifen ist selten und wenn, dann kommt es
meistens zur Vornahme von Luftangriffen. Als historischer Hintergrund
dafür gilt allgemein die „Schlacht von Mogadischu“, bei der 18
US-Soldaten im unübersichtlichen Häuserkampf auf den Dächern und in den
Straßen der somalischen Hauptstadt ums Leben kamen. Die symbolträchtigen
Bilder vom wütenden Mob, der die geschändeten Leichen jubelnd durch die
Straßen schleift – die US-Soldaten waren aufgrund vorangegangener
Angriffe, die auch zahlreiche unschuldige Opfer gefordert hatten, bei
weiten Teilen der Bevölkerung in Ungnade gefallen – gingen um die Welt
und erhöhten letztlich den innenpolitischen Druck, die US-Truppen
schnellstmöglich wieder abzuziehen. Mogadischu hatte gezeigt, dass die
USA zwar nicht militärisch, wohl aber über ihr sensibles Rückgrat – die
Zivilbevölkerung – verwundbar sind.
Luftangriffe als „Risiko-Transfers“
Auch wenn die Erfahrungen aus
Mogadischu etwa dazu führten, dass die USA wenige Monate später nicht
gewillt waren, vor beziehungsweise während dem Völkermord in Ruanda
einzugreifen, führten sie zu keinem strikten Non-Interventionismus. Das
Dilemma, einerseits handeln und andererseits keine Verluste in den
eigenen Reihen hinnehmen zu wollen, verlagerte Militäroperationen
endgültig in den Luftraum. So führten die Kampfhandlungen im Zuge der
Luftangriffe gegen Serbien aufgrund des Kosovo-Konflikts zu keinen
Verlusten auf Seiten der NATO. Die einzigen offiziellen Opfer
resultierten aus nicht mit diesen unmittelbar zusammenhängenden
Helikopterabstürzen.
Der Preis dafür war jedoch hoch.
Schließlich mussten die NATO-Bomber außerhalb der Reichweite der
serbischen Fliegerabwehrsysteme fliegen, mit entsprechenden Folgen für
die Präzision der Angriffe. Mit anderen Worten: In gewisser Hinsicht
wurden die Leben der NATO-Piloten mit jenen allfälliger unschuldiger
Zivilisten gegengerechnet, die Gefahren der Kriegsführung also der
Zivilbevölkerung des Feindes aufgebürdet. Der Kriegssoziologe Martin
Shaw bezeichnet dieses Vorgehen als „Risikotransfer-Militarismus“.
Das Muster der Kosovo-Intervention sollte sich 2011
bei der NATO-Operation in Libyen und nun im Zusammenhang mit den
Angriffen auf die Stellungen des „Islamischen Staats“ wiederholen. Doch
während al-Gaddafis Armee und andere ihm zugehörige Einrichtungen ein
leichtes und klar umrissenes Ziel darstellten, scheinen die Angriffe
gegen den „Islamischen Staat“ weniger wirksam zu sein. Forderungen nach
Bodentruppen sind allerdings aus den genannten Gründen bislang verhallt,
man verlässt sich vor allem auf kurdische Kämpfer, die wiederum
Erdogans Türkei ein Dorn im Auge sind und die daher nur begrenzt
unterstützt werden können, und die „moderaten Rebellen“ (eine freilich
fragwürdige Einstufung). Effektiv ist das nicht, US-Präsident Barack
Obama räumte auch bereits ein, dass der Kampf gegen den „Islamischen Staat“ eine Weile andauern werde.
Selbst wenn seine in Syrien und im Irak gelegenen Stellungen eines
Tages tatsächlich von der Landkarte verschwunden sein dürften, nistet er
sich mit jedem zusätzlichen zivilen Opfer der Luftangriffe tiefer in
den Köpfen seiner Sympathisanten – die auch in Europa und den USA leben –
und der unmittelbar Betroffenen ein. Dementsprechend birgt das
momentane Vorgehen auf lange Sicht ein enormes Risiko.
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